Man muss das Ende der zivilisierten Menschheit nicht herbeireden: Auf unserem jetzigen Kurs erreichen wir es. Da wir als Menschheit diesen Kurs selbst bestimmen, stellt sich die Frage: Sind wir einfach zu blöd, um zu überleben?
Menschen sind intelligent
Wer sich die Aussagen führender Klimawissenschaftler zu unserer Zukunft anschaut, hat kaum eine andere Wahl, als auszurasten. Wenn nicht äußerlich, dann im Innern. Das ist – selbstverständlich – dramatisch!
Kann es gelingen, sich gedanklich von der persönlichen Betroffenheit zu lösen? Versuchen wir es und nehmen wir die Menschheit als Ganzes in den Blick. Wir schlittern also sehenden Auges in die Katastrophe. Warum vernichten wir systematisch unseren eigenen Lebensraum? Oder, um es mit dem Kabarettisten Eckhart von Hirschhausen zu formulieren: „Welche halbwegs intelligente Spezies kackt ins eigene Wohnzimmer? Und zwar wiederholt und systematisch?“
Eine offenkundige Fehlleistung, die folgende Vermutung befeuert: Wir sind schlicht zu blöd, um zu überleben. Der Befund ist eindeutig: Nein, sind wir nicht – zumindest dann nicht, wenn wir „blöd“ auf mangelnde Intelligenz beziehen.
Es fehlt uns weder an Intelligenz noch an Erkenntnissen. Die Menschheit weiß seit langem Bescheid. Die ersten Warnungen unserer Wissenschaftler*innen liegen viele Jahrzehnte zurück. Die Vorhersagen wurden seither durchgehend bestätigt, meist übertroffen. Nicht jedes Detail traf ein – schließlich handelte es sich um Prognosen. Aber die Gesamtentwicklung kennt nur eine Richtung: Schlimmer, als gedacht.
Know-how und Intelligenz okay
Ein Beispiel zu Intelligenz und Know-how von vielen: Wer derzeit am Stuttgarter Bahnhofsloch verweilt, kann eindrucksvolle Fotos von Kelchstützen besichtigen. Dabei handelt es sich um weiße, viele Tonnen schwere, elegant geformte Gebilde, die das Bahnhofsdach tragen werden. Für Bernd Hillemeier vom S-21-Beirat, sind diese Stützen „ein Meisterwerk aus Technik, Wissenschaft und Management“. Der Beton dazu sei eines „aus Physik, Chemie und Kunst“, sagte er der Stuttgarter Zeitung (und hier).
Hillemeier ist Experte. Er war jahrelang Professor für Baustoffe und Baustoffprüfung. Ich glaube ihm gern, dass er die Erstellung von technischen Meisterwerken beaufsichtigt. Aber die Frage, ob es klug war, diesen Bahnhof zu bauen, ist damit nicht beantwortet. Wir Menschen haben jede Menge Know-how. Es fehlt uns nicht an Wissen, sondern an Weisheit.
Mangelt es der Menschheit an Werten?
Machen wir uns weiter auf die Suche, nach dem, was mit uns nicht stimmt. Das Corona-Management populistisch regierter Staaten fällt derzeit ins Auge. Insbesondere Donald Trump ist uns gut bekannt über seine Politik, seine Äußerungen und über sehr viel Material, das es über ihn gibt. Ist Trump, der wohl derzeit mächtigste Mensch der Welt, schlicht zu dumm, um zu verhindern, dass seine Landsleute massenhaft erkranken und auch viele sterben?
Er selbst prahlt – wie könnte es anders sein – mit seiner überragenden Intelligenz. Daran gibt es zwar berechtigte Zweifel. Eine moderat-überdurchschnittliche kognitive Ausstattung ist aber wohl vorhanden.
Vielleicht ist es Herrn Trump schlichtweg egal, wie viele seiner Landsleute er per laxer Corona-Politik in Krankheit und Tod treibt, solange der aufgehobene Lockdown seiner Wiederwahl als US-Präsident dient? Wenn das zutrifft, fehlt es ihm nicht an Intelligenz, sondern an humanistischen Werten. Wer allein dem persönlichen Egoismus folgt, den interessieren eben andere Maßstäbe, wie „die gleiche Würde aller Menschen“ oder „menschliches Leid vermeiden“, nicht.
Hat Trump einen psychischen Schaden?
Hat Donald Trump einen psychischen „Schaden“ (aus Sicht der Menschheit formuliert) bzw. muss von einer psychischen Störung ausgegangen werden? Für Allen Frances, der maßgeblich an der Formulierung der Kriterien für Narzissmus im psychiatrischen Standardwerk DSM3 und DSM4 mit gearbeitet hat, ist die Sache klar. Selbstverständlich erfülle Trump alle Voraussetzungen, um als Narzisst bezeichnet zu werden. Nur: Er leide offenbar nicht darunter. Damit fehlt einer solchen (Fern-) Diagnose die Grundlage.
In dem Band „Wie gefährlich ist Donald Trump?“ (2018) sind 27 Stellungnahmen aus Psychiatrie und Psychologie versammelt. Nichts, was ich darin gelesen habe, finde ich letztlich überzeugend genug, um Trumps Verhalten als krankhaft zu bezeichnen.
Er ist sicherlich ein auffallendes Exemplar unserer Gattung. Aber letztlich ist Trump nur ein Repräsentant eines Typus Mensch, den es häufiger gibt: Ganz besonders machtbetont und egobezogen.
Mangelnde Reife
Schaut man in die Berichte über ihn, stellt man allerdings etwas fest, was der Intelligenz zwar ähnelt, aber sich dennoch von ihr unterscheidet. Beispielsweise schreiben Beobachter des US-Präsidenten immer wieder über seinen sehr kurzen Zeithorizont. Ferner findet sich die Formulierung eines mangelnden kausalen Denkens. Und weiter: Sein charakteristisches Unterteilen der Welt in Feinde und Freunde (vor allem danach, ob ihm jemand zustimmt oder nicht) und viele andere Details sind aus der spezialisierten Psychologie wohl bekannt.
Sie werden im Konzept der Ich-Entwicklung nach Jane Loevinger beschrieben. Es geht dabei um Entwicklung und zwar insbesondere derjenigen Entwicklung von Jugendlichen und Erwachsenen. Beschrieben werden hier Selbst- und Weltbilder, die alle Eindrücke filtern und ein Raster fürs Einsortieren jedweder Erfahrung darstellen (zum intuitiven, anschaulichen Kennenlernen des Modells: Hier). Selbstverständlich ordnen wir die Biochemie und elektrischen Impulse in unserem Kopf nach solchen Mustern – und das kann eben auf unterschiedlichem Niveau erfolgen. Diese Level werden auch mit dem Begriff der Reife bezeichnet.
Die „Trump-Stufe“ der Ich-Entwicklung
Alle charakteristischen Besonderheiten von Donald Trump finden sich auf der Stufe 3 der Ich-Entwicklung. Jeder Mensch beginnt bei 0, im Erwachsenenalter sind praktisch alle bei 3 angekommen oder schon weiter. Entwicklung verläuft zwar grundsätzlich auf einem Kontinuum, aber es gibt bestimmte Plateaus, die sich als sehr stabil herausgestellt haben. Deshalb spricht man hier von Stufen und hat sie auch per Nummer markiert bzw. mit einer Überschrift gekennzeichnet.
Trumps Stufe heißt „selbstschützend“. Trotz seiner – charakteristischen – Aggressivität verweist dies auf eine Art von guten Absichten dahinter: Er möchte sich „nur“ selbst schützen. Dass er dabei häufig alles um sich herum, was ihm nicht gefällt, kurz und klein schlägt, ist die Ironie dieser Stufe. Aber eben fest damit verbunden.
Jeder Mensch, der weiter gekommen ist in seinem Leben, war irgendwann einmal ein „Typ Trump“. Meistens zwar schon in der Pubertät, aber diese Stufe gehört definitiv zum normalen menschlichen Sein. Der Anteil Erwachsener liegt bei circa 5 Prozent. Diese Menschen sind dank ihres großen Machtbewusstseins, ihrer Skrupellosigkeit und ihres ausgeprägten Gespürs für günstige Gelegenheiten häufig erfolgreich in unserer Gesellschaft.
Werte sind ein inhaltliches Thema und damit nicht Teil einer bestimmten Ich-Entwicklungsstufe. Die im Modell der Ich-Entwicklung beschriebenen Stufen beziehen sich immer ausschließlich auf die Struktur, mit der wir uns selbst und die Welt verarbeiten, nie auf die Inhalte (Insofern ist Ich-Entwicklung auch ausdrücklich etwas anderes als Spiral dynamics).
Mangelnde Reife der Menschheit
Wenn Trump nun tatsächlich auf der Stufe 3 der Ich-Entwicklung hängen geblieben ist, muss man dies als extrem ungünstig für die Menschheit bewerten, da er den mächtigen Posten des US-Präsidenten inne hat ohne auch nur im Entferntesten die passende geistige Reife dafür mitzubringen. Aber krankhaft ist es nicht.
Trump bringt die typische Arroganz der Stufe 3 gegenüber Demokratie und Wissenschaft mit. Beide Systeme basieren auf Vertrauen, das dem Menschen erst ab Stufe 4 möglich ist. Aber auch hier gilt: Fehlendes Vertrauen ist nicht krankhaft. Es ist normal. Und wenn es dumm läuft für die Menschheit, kommt eben so ein Typ an die Macht, der menschliche Beziehungen nicht auf Vertrauen gründen kann, sogar in einer Demokratie.
Damit ist nicht nur Trump kennzeichnend für die gesunde Menschheit, sondern auch seine Wählerschaft passt in dieses Bild. Sie ist gesund. Sicher, wären die Menschen schlauer und gebildeter, hätten weniger von ihnen Trump gewählt. Der durchschnittliche IQ- und der durchschnittliche Bildungsabschluss seiner Wähler*innen werden niedriger liegen als derjenige der demokratischen Kandidat*in. Aber es werden auch sehr intelligente und gebildete Menschen darunter sein.
Vom Befund ausgehend, dass Trump uns näher zum Abgrund führt, bleibt aber festzuhalten: Woran es hier mangelt, ist die menschliche Reife. Trump beherrscht die Medien. Trump verspricht einiges, was manchen Menschen Vorteile bringt. Aber wenn wir uns davon ablenken lassen und den drohenden Verlust unserer Lebensgrundlage ignorieren, ist dies unreif.
Mehr Reife ist Teil der Lösung
Gerne würde ich behaupten können: Alle Menschen, die am anderen Ende der Skala der Ich-Entwicklung stehen, setzen ihre enorme Fähigkeit zum komplexen Denken und Fühlen zum Wohl der Menschheit ein. Doch dies ist nicht der Fall.
Weder heben sich jene, von denen ich weiß, dass das auf sie zutrifft, durch verstärktes Engagement für die Menschheit ab. Noch mangelt es umgekehrt an jungen, engagierten Menschen. Diese können qua Alter unmöglich auf besonders späten Stufen der Entwicklung stehen (rechnen Sie pro Stufe 5-7 Jahre). Ganz im Gegenteil sind es nicht wenige junge Leute, sondern besonders viele von ihnen, die sich überdurchschnittlich stark für unsere Zukunft einsetzen.
Reife alleine ist es also nicht. Es braucht offensichtlich auch die Ausprägung von entsprechenden Werten. Und diese Werte genügen häufig, um sich zu engagieren. Einbringen wird sich ferner eher, wen Ereignisse seines*ihres Lebens in diese Richtung gebracht haben. Beispielsweise jene, deren Freunde auch aktiv sind. Oder diejenigen, die über eine Jugendfreizeit in Kontakt zur Natur und zu Umweltthemen kamen. Wen der Zufall in einen Schlachthof führte, der wird in vielen Fällen zum Vegetarier.
Beamen wir uns noch einmal gedanklich ins All und betrachten die Lage der Menschheit von ganz weit oben. Dann halte ich Folgendes, bei aller gebotenen Vorsicht eines solchen Urteils, durchaus für eine zutreffende Behauptung: Wenn es zum Ärgsten kommt, werden wir nicht an der schieren Blödheit scheitern. Mit viel mehr Berechtigung lässt sich stattdessen behaupten: Wir werden an der eigenen Unreife zugrunde gehen.
Nicht, dass das grundsätzlich besser wäre. Aber es eröffnet andere Ansatzpunkte des Agierens für möglichst wenig Leiden auf unserem weiteren Pfad als Menschheit.
Dies ist Teil 5 der Blogserie: 10 naive Fragen zum Menschen.
Teil 1 Was brauchen wir, um uns zu retten?
2: Wieso sollten wir die Menschheit lieben?
3 Gibt es echte Liebe zwischen Menschen?
4 Warum ändert Vernunft nichts und ist doch das Ziel?
(5 Sind wir zu blöd, um zu überleben?)
6 Wo ist unser Menschenbild verkürzt?
7 Warum hilft die akademische Psychologie kaum weiter?
8 Ist der Mensch im Grunde gut?
9 Kriegen wir noch die Kurve?
10 Warum sich noch engagieren?