Wir Frösche – wie uns die Klimakrise langsam weichkocht

Zahllose gut belegte psychologische Befunde erklären unser Verhalten in der Klimakrise. Es scheint fast so, als ob uns die menschliche Natur selbst zur Zerstörung unserer Lebenswelt zwingt. Muss das so sein?

Der Frosch im Kochtopf – Shifting Baseline

Folgende Geschichte ist weit verbreitet. Wie kocht man einen Frosch zu Tode? Man setzt ihn in einen Topf mit lauwarmem Wasser. Wenn man es langsam genug erhitzt, bleibt er sitzen und verendet. Obwohl das für Frösche gar nicht gilt, ist dies ein hilfreiches Bild für uns Menschen.

Der psychologische Effekt heißt „Shifting Baseline“. Er dürfte einen erheblichen Anteil daran haben, dass wir trotz besseren Wissens seit Jahrzehnten kaum etwas gegen die Klimakrise tun. Das Phänomen: Wir haben uns an schlechte Nachrichten zur Klimakrise gewöhnt. Wir lassen uns auch nicht mehr dadurch stören, dass sie immer noch schlechter werden. Stets bedrohlichere weitere Katastrophen erscheinen uns normal – bis es zu spät ist.

Soziale Normen in der Klimakrise und andere Effekte

Da hockt also der Mensch wie ein Frosch auf der sich immer weiter erhitzenden Erde und treibt dem globalen Kontrollverlust entgegen? Nein! Schlimmer! Wir hocken da zu mehreren und alle tun nichts! Das heißt, wir machen das Relativieren, Bremsen und Nichtstun zur sozialen Norm – an die sich alle halten. Ein sehr mächtiger Einfluss!

Als wäre das nicht schon schlimm genug, kommen dazu zahlreiche weitere Effekte – alle on top. Man kann einen ganzen Dialog schreiben, bei dem hinter jedem Satz ein gut beschriebener, empirisch gesicherter psychologischer Effekt steht.

Kognitive Verzerrungen

„Ich tue doch schon was fürs Klima, z.B. … (trenne ich meinen Müll, kaufe Bio ein ….)“ (Self Serving Bias / Selbstwertdienliche Verzerrung) sagt der eine. Und fährt fort: „Das macht mein Nachbar zum Beispiel nicht“ (Downward Social Comparison Bias / Abwärtsgerichteter sozialer Vergleich). „Die anderen könnten ja wohl auch was tun“ (Verantwortungsdiffusion). Einer fällt ein: „Und überhaupt: Die Chines:innen stoßen viel mehr CO2 aus, als wir“ (Blame Shifting / Schuldverschiebung).

Worauf der erste weiterspricht: „Weil ich eben schon so viel mache, kann ich es mir ökotechnisch auch mal leisten, in Urlaub zu fliegen“ (Moral Licensing). Ein dritter mischt sich ins Gespräch: „Das sehe ich auch so! Man kann seine Flüge ja kompensieren. Und mit dem Privatjet fliegen, wäre viel schlimmer.“ (Confirmation Bias / Bestätigungsfehler – man findet leichter Infos, die zur eigenen Position passen). „Es bringt doch sowieso alles nichts, wir werden ohnehin alle sterben“, (gelernte Hilflosigkeit) ist ein anderer überzeugt. „Das ist reine Klimahysterie“ tönt es darauf (Mortalitätssalienz-Hypothese: Wer an den eigenen Tod erinnert wird, klammert sich an sein Weltbild).

Viele schauen gar nicht erst hin, obwohl die Füße langsam beginnen, zu qualmen und sich Brandblasen bilden (Vermeidung). „Es wird schon alles gut gehen“, meint einer, der doch hinsah (Optimism Bias / Optimistische Verzerrung). „Wenn wir jetzt hier rausspringen, könnte das Nachteile mit sich bringen. Hier geht es uns doch vergleichsweise gut“ (Verlustaversion), wird argumentiert. „Es ist mir zu heiß. Aber ich schwitze generell leicht“, meint eine am Ende noch (Kognitive Dissonanz, widersprüchliche Kognitionen erzeugen unangenehme Gefühle und drängen zur Harmonisierung). „Wir sind die Frösche, die hocken bleiben“, verkündet eine ihre Überzeugung (Selbst- und Weltbilder). Eine andere fällt ein: „Außerdem können wir ohnehin nichts tun!“ (fehlende Selbstwirksamkeitserwartung).

Die Psychologie verfügt also über erdrückende Belege für die fatale Annahme, dass unsere Jahrzehnte währende Untätigkeit kein Lapsus war, sondern gute Gründe hat. Die zudem eng mit unserer menschlichen Natur verbunden sind. Ist das Schicksal der Menschheit damit besiegelt?

Ermutigung

Ich behaupte: Nein, uns bleibt eine Chance. Denn die zitierten Befunde betreffen allesamt die Vergangenheit und die Gegenwart. Nicht jedoch die Zukunft. Die zitierte Empirie erhebt häufig durchaus den Anspruch, den Menschen an sich zu beschreiben – oder sie wird zumindest häufig so verstanden.

Doch das ist nicht korrekt. Zum einen beziehen sich alle Effekte auf statistische Befunde. Das heißt: Wenn eine Mehrheit über die beschriebenen Merkmale verfügt, zeigen die Untersuchungen an, dass der Effekt existiert. Eine Minderheit, die anders tickt, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht. Zum anderen bezieht sich diese Empirie vollständig auf uns Menschen, wie wir sind und waren.

Sie beschreibt nicht die Menschen, die wir sein werden. Nun gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir auch morgen noch dieselben sind. Und dann würden wir bestimmt auch noch die letzte Chance zur Umkehr vergeigen. Aber garantiert ist das zum Glück nicht, wir könnten uns ändern. Deshalb sollten wir uns vor allem für das psychologische Wissen darüber interessieren, wie wir uns weiterentwickeln könnten.

Die Forschung zur Ich-Entwicklung beschreibt, wie Menschen weltweit auf die gleiche Art ihren Horizont erweitern, sich komplexeres Denken aneignen und ein reichhaltigeres Innenleben entfalten. Wir sollten uns weniger mit der Beschreibung des Status Quo aufhalten und mehr an diesen positiven Befunden orientieren.

Wir müssen die Mehrheitsverhältnisse kippen. Politisch, wirtschaftlich und psychologisch.

2 Kommentare

  • Lieber Herr Burger,
    Danke für Ihren Beitrag in “Psychologie heute”. Dass es einmal eine “Kritische Psychologie” gegeben hat, ich glaube, das wissen die meisten der jüngeren KollegInnen gar nicht mehr, geschweige denn, sie wäre noch von Bedeutung. Dabei war sie auch vor 40 Jahren weder in sich geschlossen, auch war sie nie mehrheitsfähig und schon gar nicht mainstream. Es waren immer eher Einzelne, die ihr Fach hinterfragt haben und versucht haben, auf eine andere Weise gesellschaftlich bedeutsam zu handeln als durch hinterhererklären und Pflaster aufkleben.
    Ein Kollege, dessen Aufsätze ich regelmäßig und immer mit Genuss und Erkenntnisgewinn lese, ist Christoph Stöcker, seine Aufsätze erscheinen im “Spiegel”.
    Beste Grüße
    Stefan Waldow

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