Wird die Klimakrise außer Kontrolle geraten? Wird gewaltsamer Protest gegen die Klimapolitik unseren Alltag bestimmen? Die Situation scheint sich unaufhaltsam zuzuspitzen. Gibt es keinen Ausweg aus der Eskalation? Die Psychologie könnte eine wichtige Perspektive beitragen – schließlich sind wir Menschen Ursache und Lösung der Klimakrise zugleich.
Klimakrise: Wo stehen wir?
Einige wenige Grafiken zeigen deutlich, wie prekär die Lage in der Klimakrise ist. Sehen wir uns zunächst den CO2-Gehalt der Atmosphäre an. Er bildet die Summe des individuellen Verhaltens aller Menschen weltweit ab. Wobei die Bandbreite der einzelnen Beiträge enorm ist: Viele Superreiche emittieren das zigtausendfache der meisten Menschen in den Ländern des globalen Südens.
Die Kurve bildet außerdem die Wirkung unseres Wirtschaftens und der gesamten Klimapolitik dar. Durch den klaren Zusammenhang zwischen CO2-Gehalt der Atmosphäre einerseits und verschiedensten Folgen wie Extremwetter andererseits, ist der Kurvenverlauf katastrophal.
Da sich das CO2 über Jahrhunderte in der Luft hält, gilt leider: Nur wenn wir jährlich NICHTS mehr ausstoßen, kann der Trend sich umkehren.
“Fairer” als der Blick auf den steigenden CO2-Gehalt der Atmosphäre ist es, unsere jährlichen Emissionen zu betrachten. Was kommt in den 2020er- Jahren noch dazu? Mit dem Blick darauf hätten wir eher eine Chance, die Erfolge unserer Klimapolitik zu erkennen.
Doch von “Erfolg” kann leider keine Rede sein. Die folgende Grafik zeigt links oben in schwarz die weltweiten CO2-Emissionen seit der Pariser Klimakonferenz. Nur dank Corona flacht sie sich zuletzt ab. Dann folgen in verschiedenen Farben die Zielpfade: Dorthin müssen wir! Alle zeigen steil nach unten. Wir müssten strikt bergab, möglichst schnell auf die Null-Linie. Doch wir laufen weiter gen Gipfel.
Der Blick auf einzelne Länder schärft das Verständnis für unsere Lage weiter. Typisch ist der Emissionsverlauf in den USA unter dem Klimawandelleugner Donald Trump. Nach dem Weltgipfel in Paris Ende 2015 geht es unvermindert weiter mit den Emissionen. Folglich haben die Vereinigten Staaten ihr faires pro-Kopf-Budget für die 1,5-Grad-Pfade bereits mit dem Jahr 2021 verspielt.
Werfen wir noch einen Blick auf Deutschland. Hier zeigt die schwarze Linie immerhin moderat abwärts, sogar schon vor Corona. Doch das genügt natürlich nicht: Wenn oben ein Gewitter aufzieht, gilt es, so schnell als möglich ins Tal zu kommen. Die obere orangefarbene Linie ist (momentan) identisch mit dem Pfad, den das aktuell gültige Klimaschutzgesetz vorsieht. Allgemeine Einigkeit in der Politik herrscht darüber, dass dieser Pfad sehr ambitioniert sei. Obwohl er, wie unten zu sehen, keineswegs für das 1,5 Grad-Limit reicht. Haben wir eine Chance, zumindest das Klimaschutzgesetz einzuhalten? Aus Bayern kam sofort Protest gegen konkrete Maßnahmen der Ampel, die dazu dienen sollen, das zu schaffen. Für die Jahre 2022 bis 2023 erklärte Robert Habeck zudem gleich im Januar 2022, dass das Klimaschutzgesetz sicher nicht eingehalten werden kann.
Wir haben also einen viel zu flachen Weg gewählt, halten nicht einmal diesen ein und manche Bundesländer kämpfen dagegen an. Dazu kommt: Wir müssten in den ersten Jahren der ambitionierten Klimapolitik noch deutlich rascher nach unten kommen. Zu Anfang können wir noch „low hanging fruits“ ernten, also relativ leicht Emissionen einsparen. Ein Tempolimit lässt sich zum Beispiel nur einmal beschließen – und vielleicht nochmal verschärfen. Die Kohlekraftwerke abzuschalten, geht noch relativ einfach. Die letzten industriellen Prozesse umzustellen, wird eine ganz andere Herausforderung.
Warum überhaupt 1,5 Grad? Ab dann wächst die Gefahr klimatischer Kippeffekte. Die Stabilität von Ökosystemen (Grönland, Westantarktis, Tropischer Regenwald, Korallenriffe, auftauender Permafrost, transatlantische Umwälzbewegung etc.), wird geringer und kippt ab einem bestimmten Punkt irreversibel. Hier kann es Kaskaden von Kippeffekten geben, so dass der globale Kontrollverlust droht.
Es muss also etwas geschehen, dringend. Doch was tun? Diejenigen, die sich trauen, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und danach zu handeln, werden immer radikaler. Was braut sich hier gesellschaftlich zusammen?
Die klimapolitische Umkehr hat einen hohen Preis
Kommen wir von der naturwissenschaftlichen Betrachtung zur gesellschaftlichen. Der weltbekannte Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson beschreibt in seinem Roman „Das Ministerium für die Zukunft“ die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte. Sein Werk, laut Barack Obama eines der wichtigsten Bücher des Jahres 2021, beginnt damit, dass bei einer einzigen Katastrophe 20 Millionen Menschen an den Folgen einer Hitzeglocke sterben. Robinson beschreibt ferner einen grünen Terrorismus mit gezielten Morden. Und erst durch die Kombination der Katastrophen, des Terrorismus und des (mitunter halblegalen) Bemühens friedlicher Kräfte begibt sich die Menschheit schließlich auf den Weg, die eigene Lebensgrundlage zu erhalten. Robinson selbst sei zwar gegen Gewalt. Aber er habe realistisch bleiben wollen, erklärte er in einem Interview seine teils düstere, letztlich jedoch optimistische Voraussschau.
Erleben wir aktuell die Vorboten? Wird die „friedliche Sabotage“ zur nächsten Aktionsform? Derzeit kleben sich Aktivist:innen auf Autobahnen an, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Geht es tatsächlich nicht anders, als mit solchen extremen Mitteln? Werden wir nur aus Schaden klug und müssen zum Glück gezwungen werden?
Soziale und persönliche Kippeffekte zum Guten
Eines ist klar: Was wir benötigen, sind in der Tat derart schnelle und umfassende Veränderungen, dass diese als “soziale Kippeffekte” zu bezeichnen sind. Früher hätte man gesagt: “Es braucht eine Revolution, Reformen genügen nicht mehr”. Doch in der Klimakrise gibt es keinen bösen Buben an der Spitze, den man wegputschen könnte und alles würde gut. Unsere gesamte Wirtschafts- und Lebensweise steht zur Disposition.
Ein Beispiel für einen sozialen Kippeffekt, lieferte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik aus dem Jahr 2021. Eine handvoll Richter:innen veränderten damit die gesamte Politik. Gedrängt durch die Kläger:innen, beeinflusst von wissenschaftlicher Expertise, gesellschaftlicher Debatte und vielleicht in der Klimagerechtigkeitsbewegung engagierten Kindern, entschieden sie plötzlich anders als allgemein erwartet. Die Politik schärfte nur wenige Wochen später das Klimaschutzgesetz nach. Weder mussten ganze Parteien noch Millionen Wähler:innen beeinflusst werden. Einige wenige Richter:innen genügten, um die reale Politik zu verändern.
Von dieser Art brauchen wir mehr – denn auch die nachgeschärfte Klimapolitik verfehlt das Notwendige deutlich. Druck auf die Politik ist sicher nötig – ihn fordern die Politiker:innen sogar selbst. Doch von welchem Menschenbild gehen wir dabei aus? Menschen, die allein auf Druck reagieren, wie ein unbelebter Körper?
Menschenbilder: Homo oeconomicus und kognitive Verzerrungen
In der Vergangenheit wurde der Mensch als „homo oeconomicus“ gesehen. Ein Wesen, das rational denkt und sich in allen Situationen bemüht, den eigenen Nutzen zu mehren. In dieser Logik wäre die Naturzerstörung in vielen Fällen einprogrammiert.
In den 1960er Jahren begann die psychologische Forschung jedoch, dieses Menschenbild zu widerlegen. Es wurde nachgewiesen, dass wir nach Heuristiken urteilen. Diese erlauben zwar schnelle Urteile. Aber rational sind sie nicht. Wir “leiden” unter “Kognitiven Verzerrungen”.
Allzu tief gedrungen ist diese Erkenntnis allerdings nicht. Erst vor zwei Monaten stellt Prof. Christian Stöcker auf diesem Blog fest: „Viele ökonomische Modelle gehen von einem Menschenbild aus, von dem die Psychologie seit vierzig Jahren weiß, dass es nicht stimmt.“ Und Maja Göpel schrieb 2020 ihren Bestseller „Unsere Welt neu Denken“ ebenfalls dazu, wie stark sich der homo oeconomicus bis heute in unseren Köpfen behauptet.
Insofern ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieses Menschenbild widerlegt ist und die Kognitiven Verzerrungen zu erklären.
Doch führt uns die Relativierung des homo oeconomicus gut in die Zukunft? Inspiriert uns das Bild des sich irrenden Menschen und wirkt ermutigend? Wohl kaum. Es beschreibt höchstens die Gegenwart. Und genau die Eigenheiten, die uns erst in unsere verzweifelte Lage gebracht haben.
Eine Rückkehr zum homo oeconomicus kann nicht die Lösung sein. Doch wie passt dazu, dass gerade die Klimagerechtigkeitsbewegung zu Recht fordert, dass wir uns stärker an der Wissenschaft orientieren?
Der sich weiterentwickelnde Mensch
Wer etwas über die Zukunft wissen will, sollte nicht in die Vergangenheit starren. Es braucht etwas Neues. Wir müssen vernünftiger werden, ohne rein-rational zu sein. Wir müssen auf unser Wissen setzen, aber auch auf die Weisheit, es richtig anzuwenden. Wir brauchen komplexere Selbst- und Weltbilder, die nicht nur auf unseren Eigennutz fixiert sind, sondern auch berücksichtigen, wie es anderen Menschen dabei geht.
Die psychologische Forschung zur Entwicklung Erwachsener macht einige Punkte klar; nach welchen Bedingungen wir hier suchen und was wir fördern könnten:
- Unsere Selbst- und Weltbilder ordnen alles, bieten Überblick, Verlässlichkeit und Sicherheit
- Daher verteidigen wir sie oft – auch gegen “Fakten”
- Die Weiterentwicklung des eigenen Selbst- und Weltbildes fordert uns also heraus
- Weiterentwicklung erfolgt immer selbstbestimmt – niemand kann uns dazu zwingen
- In einem neuen Selbst- und Weltbild kann alles anders wirken, neue Handlungsweisen können möglich sein (“Kippeffekte”)
- Plötzliche Aha-Effekte sind bei der persönlichen Weiterentwicklung charakteristisch
- Spätere Selbst- und Weltbilder zeichnen sich durch komplexeres Denken aus
- Und zugleich entfaltet sich unsere emotionale Seite – wir gewinnen ein immer reicheres Innenleben
- Selbstkritik ist für diese Entwicklung notwendig – und es ist immer lobenswert, wenn jemand den Mut dazu aufbringt
- Nicht alle Menschen müssen sich weiterentwickeln: Manche brauchen schlicht klare Gesetze
Starker Protest im Sinne von Druck auf die Entscheider:innen und den Aufbau von Gegenmacht weist in die Vergangenheit, wenn er sich allein am homo oeconomicus orientiert. Wenn der Druck groß genug ist, reagiert der/die Politiker:in, da dies dann rational ist.
Derselbe starke Protest weist jedoch in die Zukunft, wenn er sich am Bild des sich entwickelnden Menschen orientiert. Dann wird der Druck als hilfreich verstanden, um Menschen aus der Komfortzone zu bringen und deren Entwicklung anzustoßen.
Menschen brauchen manchmal Druck, um sich zu bewegen. Aber wer sie gegen die Wand drängt, sollte ihnen auch eine Tür bieten, durch die sie gehen können.
Daher lässt sich nicht alles mit Druck und Verboten erreichen. Dafür gibt es zu viele Nischen. Insbesondere in der Demokratie. Und sie gilt es in jedem Fall zu bewahren. Die Richter:innen des Bundesverfassungsgerichtes wurden nicht zu ihrem Urteil gezwungen.
Wer sich all dessen bewusst ist, agiert anders. Zum Beispiel anders als die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock im letzten Jahr. Statt zu versuchen, möglichst schnell aus der Debatte um ihre Fehler herauszukommen, hätte sie den Fehler selbst zum Gegenstand der Debatte machen können. Die Gegenkampagne wäre für sie zur Steilvorlage geworden: Ja, wir machen alle Fehler. Ja, wir alle haben die letzten Jahre Fehler gemacht und sind in Richtung Selbstzerstörung marschiert. Sich Fehler einzugestehen, ist der erste Schritt zur Umkehr. Das hätte ihre Botschaft sein können und sie hätte endgültig die Meinungsführerschaft übernommen. Mit einer wirklich zukunftsweisenden Vision. Der des sich weiterentwickelnden Menschen.
Früher oder später wird und muss es in dieser Richtung gehen. Der sich weiterentwickelnde Mensch wird und muss zum Leitbild werden. Ein inspirierender Weg in die Zukunft. Der einzig machbare.