Menschenskinder: Aktivisten- und Politiker-Gehirne leiden am gleichen Klimaproblem

Haben Sie gesehen, wie die Bundesregierung das Klimapaket vorgestellt hat? Blendete man dabei das Alter und die Bedeutung der Politiker aus, wirkte es so, als würden gerügte Kinder ihren Eltern reumütig Rapport erstatten. Ist das nun lächerlich und Grund für Spott? Oder tragisch? Was es bedeutet, wenn Politiker wie Aktivisten mit den gleichen Gehirnen auf dem selben Planeten festsitzen und ein gemeinsames Klimaproblem lösen müssen.

Wie gescholtene Kinder: Die Pressekonferenz des Klimakabinetts

Auf der Pressekonferenz des Klimakabinetts am 20.09.2019 stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel fest: „Die vielen jungen Leute“ forderten „mit Recht ein, dass wir etwas dafür tun, dass auch sie gute Lebenschancen haben“. Sie wusste: Draußen warteten zeitgleich hunderttausende Aktivisten auf den Straßen gespannt darauf, was sie verkünden würde. Ob Merkel genügt, würden die Menschen an klaren Maßstäben messen. Vizekanzler Olaf Scholz von der SPD betonte: „Fridays for Future hat uns alle aufgerüttelt.“ Die Kinder haben die Profi-Politiker aufgerüttelt? (Spott liegt nahe: Hat Scholz vorher geschlafen? Und wer übernahm derweil die Verantwortung im Land, während der Finanzminister so vor sich hin döste?). „Wir müssen allen, die in den letzten Monaten demonstriert haben, danke sagen.“ erklärte CSU-Chef Markus Söder.

Zusammengenommen bedeutet das: Wir Politiker lenken seit Jahren das Land. Aber wir waren selbst nicht in der Lage, das Klimathema als „Menschheitsfrage“ zu begreifen – diesen Ausdruck prägte Angela Merkel jüngst, um das Thema ganz oben auf der Agenda einzuordnen. Dazu brauchten wir euch Kinder.

Die heute millionenstarke weltweite FFF-Bewegung startete vor gut einem Jahr in Gestalt der damals 15-jährigen Schwedin Greta Thunberg als Einzelperson. Da trugen die Politik-Apparate schon Jahre lang die Verantwortung und die Fakten lagen längst auf dem Tisch. Die Politik beschäftigte hochrangige Berater, die alles haarklein erklärten. Dann wurde die Schülerbewegung immer größer und lauter. Nicht die Fakten genügten, nicht die Wissenschaftler, nicht die Berater, es brauchte Schüler auf der Straße, damit die Politiker die Lage zutreffend erfassten. Lächerlich! Oder tragisch?

Vor einem halben Jahr jedenfalls rief Angela Merkel das Klimakabinett zusammen: Erstmals wurde das Thema Klimawandel nicht auf die Umweltministerin abgewälzt, die sich bei den Ressort-Kollegen regelmäßig eine blutige Nase holte. Nach mehrmaligen Treffen ohne sichtbare Ergebnisse sollte nun das ultimative Zusammenkommen stattfinden und am 20. September 2019 sollten die Resultate verkündet werden.

Zeitgleich skandierten auf den Straßen hunderttausende Schüler: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“! Diesmal verstärkt durch Eltern, Großeltern, Wissenschaftler, Unternehmer, Arbeiter. Der Weltklimagipfel in New York direkt danach. Nun blickte ganz Deutschland auf diese Pressekonferenz.

Setzen, sechs? Vieles spricht für wütenden Spott

Natürlich galt das Hauptinteresse den verkündeten Inhalten. Daneben wurde – wie immer heutzutage – auch noch Laien-psychologisiert. Denn die auf dem Podium waren nach 19 Stunden Verhandlungsmarathon rechtschaffen müde, was die Kameras im Großformat einfingen. Aber wer die Pressekonferenz mehrmals ansah und die Inhalte demzufolge schon kannte, gewann einen merkwürdigen Eindruck. Die Politiker schienen in der Rolle von gerügten Kindern zu sein. Sie wurden im letzten Jahr von den Kids auf den Straßen erzieherisch gemaßregelt und mit einer Aufgabe versehen: Bringt das mit dem Klima in Ordnung. Und zwar pronto! Haltet euch an eure eigenen Versprechen, die ihr in Paris 2015 schriftlich abgegeben habt! Die Wissenschaft sagt, dass ihr das bisher nicht gemacht habt. Also los jetzt! Und nun zittern die Politiker in der Kinderrolle, ob ihr aufwändig gebasteltes Werk wohl die Akzeptanz der Mädchen und Jungen finden würde. Ein absurdes Bild.

Hier könnte ich nun alle Kritiker des Klimakabinetts einsammeln und einen trefflichen Konsens schmieden, bei dem wir uns alle besser fühlen. Ich könnte Politikerschelte und -häme betreiben, nach Belieben variiert zwischen subtil und knallhart. Wir Kritiker könnten uns alle selbst feiern.

Das wäre verständlich. Für uns, die wir das Klimathema schon sehr viel länger ganz oben auf der Agenda hatten, als die CDU- und SPD-Politiker, läge das nahe. Quälende Jahre sahen wir untätigen Politikern zu. Und nun sind wir maßlos enttäuscht über das, was letztlich nach all dem Vorlauf und der gigantischen Verhandlung herauskam. Zumal in der historisch günstigsten Situation ever, um eine konsequente Umweltpolitik zu betreiben: Die Kids auf den Straßen, die Grünen-Wahlerfolge im Rücken, die UNO-Klimakonferenz vor der Brust. Den eigenen, mehrmonatigen Vorlauf auf der Haben-Seite.

Für unseren wütenden Spott spräche vieles. Denn: Ja, diese Klimakabinettler wirken wie gescholtene um Anerkennung bettelnde Kinder. Ja, die Ergebnisse des Klimakabinetts sind dermaßen lächerlich, dass sie zum Verzweifeln und Erzürnen sind. Ja, vernichtende Kritik ist angebracht, im Hinblick auf die Wissenschaftler, die vorher schon sagten, dass so etwas nicht reichen würde und jetzt selbstverständlich noch das gleiche sagen: Wir brauchen mindestens 35 Euro pro Tonne CO2 (anderen zufolge mindestens 50 Euro), um eine Verhaltensumstellung zu erreichen. Jedem Menschen, der schon einmal den Boden einer Tankstelle betrat oder im Vorbeifahren die Preise registrierte, ist klar, dass die beschlossenen 10 Euro (ungefähr 3 Cent an der Tankstelle pro Liter Treibstoff), nichts ausrichten werden. Das gleiche gilt für die weiteren Minischritte in den nächsten Jahren. Ja, es ist empörend und jämmerlich, wenn Angela Merkel ständig fordert, andere sollten ihre „Hausaufgaben“ machen und sie nun – nach all dem Vorlauf und der schier endlosen Verhandlungsnacht – einfach frech behauptet, sie habe sie gemacht, obwohl das offensichtlich nicht der Fall ist. Ja, es ist zum Erbarmen, der Umweltministerin seither dabei zuzusehen, wie sie rechtfertigt, was beschlossen wurde: Die Pendlerpauschale wird ab 2021 ab km 21 um 5 Cent erhöht – der CO2 Preis steigt erstmal nur dürftig um 3 Cent pro Liter an. Wieso also nicht mit allem Recht (und fürs eigene Wohlsein förderlich) spotten und schimpfen, was das Zeug hält?

Klimaschutz braucht Psychologie

Wenn wir uns als Kritiker zusammenschließen, um die Regierung zu schelten, tappen wir in eine Falle. Wir sitzen alle auf demselben Planeten fest. Und, das ist zunächst unsexy und bitter: Wir haben alle dieselben menschlichen Gehirne mit denselben Schwächen. So bequem es wäre, aber wir können deshalb nicht einfach behaupten, die anderen wären Schuld und müssten sich ändern, aber wir nicht. Ein vierzehnjähriges Mädchen braucht und will und fährt keinen SUV – aber deshalb würde es sich bezüglich der eigenen Vorlieben nicht grundsätzlich anders verhalten. Wissen die Kids eigentlich, welcher CO2-Ausstoß entsteht, wenn sie Online-Streams nutzen? Nein?

Und genau hier ist die Falle Nummer zwei aufgestellt. Wir tappen hinein, wenn wir den FFF-Kids den Spiegel vorhalten, um unseren Lebensstil mit viel Fleischkonsum, SUV und Flugreisen fortführen zu können. Auch so ein typisches Ding: Wir laufen in die Sackgasse, die schon so viele umweltgerechte Entscheidungen blockiert hat. Damit meine ich beispielsweise die internationalen Umweltkonferenzen, zu denen alle mit dem Auftrag anreisen, die anderen Länder zu möglichst viel Zugeständnissen zu bringen und sich selbst schadlos zu halten. Was wir stattdessen brauchen: „Schluck du die Kröte, die du nicht magst, dann schlucken wir die, die wir nicht mögen.“ Anders gesagt: Wir Alten verzichten auf unsere SUV-Bequemlichkeit und ihr Jungen reduziert das Streamen. Wir wollen das nicht und ihr wollt das nicht – aber es gibt keinen anderen Weg. Es geht um das „Ringen mit der eigenen Seele“ wie der Leitautor der Veganer („Tiere essen“) aber heimliche Fleischesser J.S. Foer jüngst im Spiegel sagte.

Auf was wir verzichten können, ist die gern genommene und verbreitete Laienpsychologie. Beispielsweise das unsägliche Herumanalysieren von Greta Thunbergs Psyche. Oder Großaufnahmen von übermüdeten Politikern. Was wir jedoch dringend nötig haben, ist eine ernsthafte psychologische Expertise. Wenn Politiker sich entgegen der klaren Befunde und Ratschläge der Berater und des gesunden Menschenverstands zu der Aussage versteifen, 3 Cent pro Liter Treibstoff mehr veränderten etwas, begeben sie sich in die Nähe von Fake News und Alternativen Fakten. Wenn sie in einer historisch günstigen Situation wie am 20.09.2019 zu feige sind, den Fakten gemäß zu handeln, müssen wir über ihre Angst vor Wählern und Lobbyisten nachdenken.

Aber: Politiker haben keine grundsätzlich anderen Gehirne, als wir. Jede Deutung, die nicht Politiker wie Aktivisten unter dem einen Dach der menschlichen Spezies versammelt, führt in die Irre. Dies auszuhalten, ist die Zumutung.

Politiker als ein wenig schwer erziehbare Kids

Die Metapher von den Politikern als schwer erziehbare Kids erklärt, was wir tun müssen: Die Politiker brauchen Konsequenz. Quasi elterliche Konsequenz. Ihr habt aus gutem Grund im Jahr 2015 in Paris 2,0 Grad, – möglichst 1,5 Grad – maximale Erderwärmung versprochen. Ihr seid nicht auf Kurs. Handelt! Jetzt! Das ist unbequem für euch? Tja, da müsst ihr leider durch. Die Welt richtet sich nicht nach euren Vorlieben und verhält sich so, wie ihr es gerne hättet. Die Realität sitzt immer am längeren Hebel.

Doch dazu muss noch etwas kommen. Wir alle müssen uns (unser Ich) weiterentwickeln. Entweder das – oder wir werden die Krise nicht lösen. Ich-Entwicklung bedeutet: Eine höhere Komplexität kann verarbeitet werden, der Zeithorizont weitet sich, das Ego – verstanden als Träger des kurzsichtigen, selbstbezogenen Egoismus – zieht sich von der Dominanz des Denkens, Handelns und Fühlens mehr und mehr zurück. Egal, ob das Ego nun im Politiker oder im Bürger tobt. Und diese Entwicklung wiederum, die wir als Einzelperson und (indirekt) als Gesellschaft nehmen können, kann ziemlich sexy sein.

Mehr zur Ich-Entwicklung: Handtücher, die Liegen besetzen

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