Fünf Irrtümer die Kreativität betreffend – eine Aufklärung

“Kreativität” ist ein wenig erhelltes Thema. Einerseits “kennt Kreativität keine Grenzen”, so die furchtbare Phrase, die Lokalreporter nimmermüde dreschen. Damit wäre die Kreativität wenig exclusiv bei jedem Vereinsfest zu Hause. Andererseits umwabert den kreativen Einfall immer auch die Aura der Genies. Stellenanzeigen wiederum fordern von Bewerbern schon routinemäßig Kreativität ein. Der folgende Beitrag soll etwas Licht ins Dunkel bringen. Danke Nicole Gugger für ihre Einladung zur Blogparade Kreativität.

Irrtum 1: Kreativität ist den Genies vorbehalten

“Die Erfindung des Kubismus oder die schmelzenden Uhren von Dali – das waren kreative Leistungen! Aber doch nicht das Bild dieses Grundschülers!” – ruft mein Nachbar und guckt das Gemälde schräg an. “Aber natürlich ist sein Sohn kreativ, wir alle sind es”, meint Thomas, der Pfarrer, begütigend. Was stimmt?

Die Forschung vergleicht Äpfel mit Äpfeln und Birnen mit Birnen. So muss mein Sohn nicht mit Picasso konkurrieren. Das eine ist außergewöhnliche Kreativität. Sie kann die Menschheits-Geschichte verändern und ewige Werke schaffen – aber tritt äußerst selten auf. Das andere ist alltägliche Kreativität. Sie ist es auch, die von Bewerbern gefragt ist. Mag sein, dass die außergewöhnliche Kreativität den Genies vorbehalten ist. Die alltägliche Kreativität steht für jedermann bereit.

Irrtum 2: Kreativität ist unerforschbar

Es gibt viele tausende Arbeiten zur Intelligenz, aber nur hunderte zur Kreativität. Ist sie vielleicht unerforschbar, weil sie spontan entsteht? In der Tat: Außergewöhnliche Kreativität lässt sich kaum dingfest machen. Konzentrieren wir uns daher auf die alltägliche Variante, doch auch sie ist schwer zu beherrschen. Die für seine Kreativität allseits bewunderte Werbeikone Ogilvy sagte von sich selbst, er habe immer nur kopiert. Ja, was denn nun? Oder stellen Sie sich einen Bildhauer vor, der zwei Wochen vor sich hin döst, aber dann eine allseits bewunderte Skulptur schafft. Um dann wieder in die Energielosigkeit zurück zu sinken. Er würde zum Kreativstar taugen. Denn wie er letzlich zu seinem Ergebnis kommt, ist egal. Doch wie soll man seine Fähigkeit messen? Würde man ihn ins Labor bitten, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass man einen seiner trüben und trostlosen Tage erwischt hat. Ein weiteres Problem: Erfundenes trägt nur dann das Siegel der Kreativität, wenn es eine gewisse Nützlichkeit hat. Nur herumspinnen, genügt nicht. Doch wer beweist Nützlichkeit? Und ist es nicht so, dass gerade die kreativsten Einfälle oft erst viel später anerkannt werden?

Und dennoch: Alltägliche Kreativität lässt sich schon angehen. Die Forschung zerlegte sie in Komponenten wie Ideenfluss und Originalität. So wird zum Beispiel nach möglichst vielen Verwendungsmöglichkeiten für einen Ziegelstein gefragt und zwei Minuten Zeit dafür geben. Die Auswertung besteht in der Anzahl der Ideen. Wer will, kann in der gleichen Aufgabe etwas Zweites messen. Durch ausreichend Vorversuche lässt sich angeben, welche der genannten Möglichkeiten von fast niemand und welche von fast allen genannt werden. Dies bezeichnet dann die Originalität einer Lösung.

Die Tatsache, dass die Intelligenz wesentlich besser erforscht ist, liegt daher nicht an der Unmöglichkeit, Kreativität zu ergründen. Vielmehr schreckte es die Wissenschaft ab, dass sich Kreativität viel schwieriger messen lässt. Psychologen scheuten schlicht den Umstand und die Unklarheit dieses Forschungsgegenstandes und zogen deshalb die Intelligenz vor.

Irrtum 3: Kreativität ist ganz anders als Intelligenz

Ein weiterer Irrtum: Kreativität ist nicht zuzletzt die Fähigkeit, Vorhandenes zu Neuem zu kombinieren. Wer nichts im Gehirn zum Kombinieren lagert, der kann auch nichts Neues erfinden. Kreativität und Intelligenz stehen daher in einem positiven Zusammenhang – zumindest bis zum IQ von 120. Danach, so fanden einige Forscher heraus, verschwindet die positive Korrelation.

Eine schöne Geschichte illustriert dies. 1921 filterte der amerikanische Psychologe Lewis Terman aus 250 000 Schülern die Begabtesten heraus. Die 1470 handverlesenen “Termiten”, wie sie bald hießen, hatten einen IQ von mehr als 140. Damit sind sie genial-intelligent. Terman verfolgte ihren Lebensweg – die Studie läuft immer noch. Entgegen der damaligen Erwartung fanden sich keine späteren Berühmtheiten unter den Termiten. Zwei der damals getesteten Grundschüler wurden später Nobelpreisträger. Aber sie waren wegen ihres zu niedrigen IQs aus der Studie ausgeschlossen worden. Rena Subotnik fand in einer Untersuchung von Absolventen des elitären Hunter College (IQ-Schnitt 157) ebenfalls keine berühmten Forscher oder Künstler.

Auf Kreativität wurden die Schüler und Studenten beide Male – natürlich – nicht getestet. Ob sie, falls sie getestet worden wären, hier ausreichend gut für das Elite-College (ab IQ 130) oder einen Elite-Forscher wie Terman abgeschnitten hätten? Das werden wir nie erfahren. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Wissenschaft der Zukunft hier Ergebnisse bringt.

Wie verhalten sich nun Intelligenz und Kreativität? Malcolm Gladwell, in dessen Buch “Überflieger” sie die Termiten-Geschichte nachlesen können, bestärkt darin die bereits in den 1970er-Jahren aufgestellte These: Mit einem IQ von 120 ist alles im Leben möglich. Die Führung eines Großkonzerns, ein Nobelpreis, ein dauerhafter Platz im Museum oder der Bibliothek. Ein IQ-Plus über diesen Wert hinaus bringt in dieser Hinsicht jedoch keine weiteren Vorteile.

Irrtum 4: Kreativität hat man – oder nicht

Manche unter uns meinen: “Ich bin eben nicht kreativ.” Ein folgenreicher Irrtum. Denn die Kreativitätsforschung hat gezeigt, dass eine der Eigenschaften, die zu kreativen Leistungen führt, eben die Überzeugung ist, sie erbringen zu können. Wer also überzeugt ist, er sei kreativ, hat die Chance dazu, es zu werden. Wer glaubt, er sei es nicht, wird es auch nicht sein. In diesem Sinne: Glauben Sie an Ihre schöpferische Seite!

Irrtum 5: Kreativität ist eine schöne Zusatzqualifikation

Überall wird Kreativität gefordert. Alle scheinen sich darin einig zu sein, dass man davon nicht genug haben kann. Doch so gerne Lehrer intelligente Schüler unterrichten, so gespalten sind sie, wenn es um hochkreative Schüler geht. Hochkreative stellen häufig Fragen. Damit nicht genug: Ihre Fragen führen oft vom geplanten Unterrichtsverlauf weg. Oder – was auch nicht besser ist – die Lehrer können sie nicht beantworten. Intelligenz führt zur schnellen Bearbeitung vorgegebener Aufgaben, die eine bestimmte Lösung haben. Das ist zweifellos angenehm und passt in jedes Unternehmen. Kreativität aber entdeckt Probleme, wo zuvor gar keine zu sein schienen. Sie schlägt Lösungen vor, die zunächst keiner versteht. Der geniale Einstein fiel nicht nur durch seine Fachkompetenz auf: Er hatte auch die Eigenart, sich mit seinen Professoren anzulegen.

Merkmale von kreativen Personen sind u.a. Nonkonformität, sie sind eher originell, unkonventionell, autonom, individuell, eigenwillig und unabhängig urteilend. Welches Unternehmen begrüßt es schon, solche Menschen in seinen Reihen zu haben? Welche Firma fördert Mitarbeiter, deren Gedanken man oft nicht folgen kann und die durch ihre Marotten häufig anecken? Kreativität gehört zu den in Stellenanzeigen routinemäßig geforderten Soft Skills. Meinen die Betriebe das wirklich ernst? Ich plädiere dafür, dass sich Unternehmen – wie Bewerber – diese Frage stellen. Man sollte sich davor hüten, Kreativität als etwas Nettes, Puscheliges anzusehen, das man immer gebrauchen kann und das nie stört.

Zweifelsohne: Hohe Kreativität kann ein Unternehmen retten oder groß machen. Doch alles, was wirkt, hat Nebenwirkungen. Echte Kreativität ist nie ein netter Zusatznutzen. Es ist ein kostbares Gut, potentiell höchst wertvoll, aber wegen seiner Sprengkraft auch behutsam zu handhaben. Haben Sie – dennoch – den Mut, Ihre Kreativät zu zeigen!

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