Was würden Sie als Daimler-Boss mit den Werkverträgen tun?

Was kann man von den Daimler-Vorständen halten, die derzeit wegen Werkverträgen in der Kritik stehen? Und wie würden Sie handeln? Es lohnt sich, die Karriere-Situation der Bosse zu betrachten, um selbst davon zu lernen.

Die Situation derzeit bei Daimler

Mal angenommen, es stimmt, was man so hört. Dann steht die Daimler-AG insgesamt nicht gut da. Die Konkurrenten holen immer weiter auf, die aktuelle Lage ist mäßig, die Aussichten sind es auch.

Kurz zur neuesten Kritik (hier ausführlicher). Sie entzündet sich an einer ARD-Reportage, die undercover durchgeführt wurde. Sie zeigt den SWR-Journalisten Jürgen Rose, der sich als Leiharbeiter anheuern ließ. Über einen Werkvertrag kommt er ins Untertürkheimer Daimler-Werk. Dort verdient er nur rund ein Drittel eines Kollegen aus der Stamm-Belegschaft – für die gleiche Arbeit.

Der Konzern antwortet auf die Kritik mit einer hochinteressanten Rhetorik. Erstens: An den Vorwürfen sei nichts dran, man habe sie gründlich geprüft (ein Tag nach der Ausstrahlung der Reportage!). Zweitens: Der Konzern habe juristisch wasserdicht gehandelt und insbesondere alle Führungskräfte gründlich geschult. Drittens: Das Journalisten-Team habe unfair agiert. Es würde u.a. den Pfad des fairen und professionellen Umgangs der beiden “Organisationen” miteinander verlassen.

Die Reaktion des Konzerns bedeutet: Die Kritik wird zurück gewiesen. Es wird ihr nicht weiter nachgegangen. Es wurden keine Fehler gemacht. Das Werkvertragswesen bleibt.

Angesichts des Wettbewerbsdrucks und der eigenen Ziele setzen die Verantwortlichen auf Werkverträge als ein Mittel. Sie wollen bzw. müssen dies so beibehalten. Die Verträge bringen notwendige Ersparnisse. Sie haben sich schon komplett in die Strukturen des Unternehmens hineingefressen.

Am Ende steht die Erkenntnis, dass der Weltkonzern Menschen am Band zu Hungerlöhnen arbeiten lässt, so wie die TV-Reportage es behauptet. Unmoralisch, oder? Das würden Sie, liebe Leser, bestimmt nie verantworten wollen und so machen? Ehrlich?

Die Karrieresituation eines Daimler-Vorstands

Angenommen, Sie wären Daimler-Vorstand, sagen wir einfach mal Vorstandsvorsitzender. Sie spielen damit eine sehr bedeutende Rolle in unserer Gesellschaft. Persönlich leben Sie in einer Welt, zu der nur einige Dutzend Deutsche Zugang haben. Sie sind ständig unterwegs, rund um die Erde. Ihnen wird zugearbeitet, Sie delegieren, Ihre Handlungen betreffen hunderte oder tausende Menschen. Die obersten Entscheider in der Welt, egal ob in der Wirtschaft oder der Politik, das ist Ihr Niveau. Ihr Lebensstil ist geprägt durch Ihren Status und Ihr Einkommen. Geld spielt im Alltag keine Rolle.

An dieses Level haben Sie sich stetig angenährt. Obwohl Sie die körperlichen Grundfunktionen mit allen anderen Menschen teilen, sind Sie um ein Vielfaches einflussreicher als andere. Ihr Hormonstatus ist der eines Seriensiegers. Sie erhalten in allen Dingen tagtäglich eine unfassbar große Bestätigung für Ihre Person und Ihr Handeln.

Dennoch machen Sie sich Sorgen. Ob Sie Ihren Job gut machen, ob alles klappt, ob Sie erfolgreich sein werden. Die Ebene, auf der sich dies abspielt und die Kriterien für Ihren Erfolg sind nur andere, als im Durchschnitt. Sie verschwenden keinen Gedanken daran aufzusteigen, denn Sie sind oben. Sie überlegen nicht, ob Sie sich etwas leisten können, da Sie Ihnen Ihre Kapitalerträge für den Rest des Lebens reichen.  Dennoch denken Sie an Ihr Geld. Ihre Bezugsgröße sind dabei keine Gehälter. Sie vergleichen sich mit Ihren Kreisen und da gibt es Reichere. Ein befreundeter Milliardär leistet sich vielleicht eine Yacht für 50 Millionen, die über Ihrem Budget liegt. Und das schmerzt.

Liebe Leserin, lieber Leser: Vielleicht wenden Sie ein, Sie würde es nie im Leben schmerzen, dass Sie sich die 50-Mio-Yacht nicht leisten können. Aber  Sie befinden sich lediglich in einer anderen Lebenssituation. Sie haben sich Ihrem Niveau angenährt und es durch hohen Einsatz erarbeitet.

Für Sie ist es jetzt und heute egal und es lässt Sie völlig kalt, ob der Daimler-Konzern nun 8 oder 9 Mrd verdient.Wenn Sie aber Konzern-Chef wären, es wäre Ihnen nicht egal. Diese Frage würde Ihr Leben bestimmen! Weil Sie direkt vom Konzerngewinn profitieren. Weil der Konzerngewinn Ihr Lebenswerk darstellt. Sie sterben genauso wie alle anderen mit, sagen wir, 80 Jahren. Aber wie verbringen Sie diese letzten 20 Jahre, die noch vor Ihnen liegen? Geachtet oder geschmäht? Was müssen oder dürfen Sie in der Zeitung oder im Lexikon über sich lesen? Das ist entscheidend für Sie, nicht das Leben der unbekannten Bandarbeiter oder Ingenieure.

Um Ihre Position zu erreichen, haben Sie selbstverständlich immer wieder Kröten schlucken müssen. Niemand weiß besser als Sie, dass man mit einem Handeln wie Jesus in der Bibel nicht zu Ihrem Job kommt. Vielleicht brauchte es nicht einmal größere Intrigen oder wirkliche Kriminalität. Aber taktisches Verhalten gehört dazu, anders geht es nicht. Von der ersten Führungsposition an mussten Sie Dinge verantworten, die Sie “als Jesus” lieber anders gehabt hätten. Und je höher Sie aufgestiegen sind, desto mehr solcher Kompromisse kamen hinzu. Je mehr Verantwortung Sie hatten, desto enger wurde der äußere Rahmen im Unternehmen.

Nun habe ich Ihnen das Leben eines Konzern-Vorstands nahe gebracht, der neben vielem anderen die Werksvertrags-Praktiken verantwortet. Sie können nun nachvollziehen, warum Sie als Vorstand ebenfalls auf Werkverträge setzen würden. Will ich damit sagen: Es gibt keine andere Lösung? Jeder müsste genau so handeln?

Die Schlussfolgerungen für Ihre Karriere

Es gibt immer Varianten des Verhaltens. Es gibt Dinge, die man nicht mitmacht, obwohl sie nahe liegen und die entsprechende Handlung ins Muster passen würde und alle sie erwarten. Man kann immer kurzfristiger oder langfristiger denken, mehr oder weniger Risiko eingehen. Es gibt sehr viele Varianten, Gewinn zu maximieren. Man muss sie nicht alle spielen. Es gibt Grade der Fairness und Ehrlichkeit. Man kann nicht nur alles oder nichts sagen, sondern auch mehr oder weniger. Die Daimler AG müsste bei allem Druck nicht notwendig auf Werkverträge setzen. Und übrigens auch nicht auf Billigteile oder den billigsten Lieferanten. Es gibt zig Varianten für die Daimler AG.

Nun hat jeder Mensch die gleichen Gehirnwindungen und Empfindungen. Wenn Sie sich aktuell davor fürchten, Ihren Chef zu enttäuschen, fühlt sich das genauso an, wie beim Daimler-Chef, wenn es um Aktionäre geht. Zehntausend Euro für Sie sind eine Milliarde für den anderen. Die im Gehirn freigesetzten Botenstoffe sind die selben.

Wenn Sie zugunsten der Moral und entgegen der Erwartungen Ihrer Auftraggeber oder Chefs auf Geschäfte verzichten, erfordert dies Mut und bringt unangenehme Gefühle ein. Sie empfinden Furcht und Schmerz. Exakt dasselbe fühlt der Vorstandsvorsitzende, wenn er beschließt, zugunsten von fairen Arbeitsbedingungen die Shareholder zu enttäuschen und seinen Posten aufs Spiel zu setzen.

Die Relativierung der Moral

Wenn Sie wüssten, dass Sie Ihr Konzernergebnis auf unfaire Werkverträge aufbauten: Würden Sie sich schlecht fühlen? Ich glaube nicht sehr. Denn Sie hätten unendlich viele Ausreden parrat. Beispielsweise der Druck, den Sie selbst erleben.  Dass Sie Konkurrenten kennen, bei denen es noch schlimmer zugeht. Und Sie hätten sehr viele Gelegenheiten, etwas Gutes dagegen zu setzen. Sie könnten in Ihrer engeren Umgebung fair verhandeln. Sie könnten Sonntags in die Kirche gehen. Sie könnten privat Geld spenden. Sie könnten mit Ihrem Konzern soziale Projekte unterstützen. Sie müssten sich nicht schlecht fühlen. Damit können Sie das Thema Werkverträge relativieren.

Ihr Spielraum – und Ihre Kraft

Dennoch: Sie könnten anders handeln! Sie könnten alle Relativierungen zur Seite schieben und ehrlich Bilanz ziehen. Sie könnten Verantwortung übernehmen. Das wäre richtig mutig und würde richtig weh tun.

Wie kann es gelingen, diesen Mut aufzubringen und diesen Schmerz auszuhalten? Wodurch reift in Ihnen eine Stärke heran, Ihre Aktionäre und engen Partner zu enttäuschen und Charakter zu zeigen? Sie brauchen eine, Kraftquelle dafür, wie sie beispielsweise der Glaube an bestimmte Werte darstellt. Diese Stärke wird nicht im Konzern und Ihrer Karriere zu finden sein. Vielleicht haben Sie Ihren Charakter gebildet, indem Sie Jesus oder Gandhi als Vorbild haben. Möglich wären auch erfahrene Liebe oder der eindrucksvolle Besuch in einem Township.

Der Mut und der Schmerz, die möglichen Relativierungen, die notwendige Kraftquelle und grundsätzliche Werteentscheidung: Das alles trifft für jeden Menschen zu, egal auf welcher Karrierestufe. Es beschreibt den Unterschied zwischen Karriere und Kwerkarriere, wie ich es nenne. Jede und jeder hat täglich diese Entscheidung zu treffen. Und zuweilen ergeben sich Weichen auf dem Karriereweg. Zeitpunkte, an denen es um grundsätzliche Entscheidungen geht. Für den Daimler-Vorstandsvorsitzenden ist gerade ein solcher Zeitpunkt gekommen. Und für Sie?

Lesen Sie hier das Interview mit einem Ex-Konzernvorstand, der eine Karriere-Abfahrt genommen hat, um seine Kwerkarriere auf den richtigen Kurs zu bringen.

Lesen Sie zum Thema auch meinen letzten Beitrag: Charakter zeigen für Unternehmen: Daimler und die Werkverträge.

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