Charakter zeigen für Unternehmen: Daimler und die Werkverträge

Eine ARD-Reportage behauptete, dass Bandarbeiter bei Daimler mitunter zu Dumping-Löhnen arbeiten. Wie der Konzern darauf reagiert, zeigt, wie man es nicht machen sollte. Ein Rhetorik-Lehrstück, aus dem jeder lernen kann.

Die Vorwürfe der ARD-Reportage

Der Film “Hungerlohn am Fließband – wie Tarife ausgehebelt werden” berichtet über Zustände in der Daimler-Produktion. Zu Anfang, wurde laut ARD die Daimler AG offiziell befragt, wie es sich mit den Werkverträgen in der Produktion verhält. Ein Interview mit dem Betriebsratsvorsitzenden dokumentiert außerdem dessen Version, dass es keine bekannten Missstände gibt.

Dann ist Filmmaterial aus der versteckten Kamera zu sehen. Der Fernseh-Journalist Rose hat sich mit einer fiktiven Biographie bei einer Zeitarbeitsfirma beworben, von der er annahm, dass der Einsatz letztlich bei Daimler erfolgt. Tatsächlich wurde er bei einer Firma eingesetzt, die wiederum in der Daimler-Produktion sogenannte Werkverträge wahrnimmt. Dabei – so die Rechtskonstruktion – kauft Daimler eine bestimmte Leistung ein. Wichtig ist, dass es keine Vermischung mit der normalen Daimler-Produktion gibt. Sonst würden tarifliche Regelungen greifen.

Faktisch wird viele Minuten Filmmaterial gezeigt, in dem der Undercover-Journalist Hand in Hand mit Kollegen arbeitet, die direkt bei Daimler angestellt sind. Von diesen unterscheidet er sich dadurch, dass die Daimler-Mitarbeiter rund das Dreifache verdienen.

Abgesehen von einer betriebsärztlichen Betreuung der Stammbelegschaft vor Ort scheint eines gleich: Die Arbeiter verrichten eine geistig anspruchsreduzierte, aber körperlich sehr anstrengende Tätigkeit. Die Bilder wirken schockierend, je länger man sie betrachtet.

Arbeitsmarktexperte Prof. Stefan Sell kommentiert sie hinterher so, dass es sich um einen unerlaubten Leiharbeitseinsatz handelt. Bei Hart aber Fair (im Anschluss gesendet) spricht Sell von illegaler Leiharbeit.

Nach zwei Wochen beendet der Journalist seine Arbeit. Es findet erneut ein Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden statt. Wiederum wird eine offizielle Stellungnahme von Daimler und auch von der Spedition erbeten, die den Werkvertrag für Daimler wahrnimmt.

Die Ausstrahlung der Dokumentation sorgt für viel Aufsehen. Politiker, die Medien und die Netzgemeinde kritisieren den Konzern.

Die entlarvende und ungeschickte Reaktion von Daimler

Die erste Reaktion von Daimler ist das Versprechen, den Vorwürfen gründlich nachzugehen. Sofort danach – am Folgetag der Ausstrahlung – folgt die offizielle Stellungnahme.

Daimler beginnt diese Stellungnahme mit den Worten: “Die Daimler AG widerspricht den Darstellungen der ARD-Sendung vom Montagabend um 20.15 Uhr. Das Unternehmen hat die Sachverhalte umgehend und sorgfältig geprüft.” – Am Tag danach ist schon alles geprüft? Ist das denn möglich?

Sodann folgt ein Verweis auf rechtlich eindeutige und saubere Verhältnisse. Diese Passagen lesen sich gerichtstauglich. Wichtig ist dem Konzern sodann, dass alle Führungskräfte ausführlich zum Thema Werkverträge geschult werden. Wieso wird das betont? Geht es hier um das Verschieben der Verantwortung? Das wäre doch nicht nötig, wenn es gar kein Problem gibt, oder?

Im letzten Teil der Stellungnahme wird das Vorgehen der Reporter angegriffen. Die Journalisten hätten nicht mit offenen Karten gespielt. Es sei nicht fair zugegangen. Zitat: “Die offiziellen Stellungnahmen des Unternehmens wurden unter dem Vorwand angefordert, man arbeite an einem branchenübergreifenden, generellen Beitrag über diverse Branchen, vom Schlachthof bis zur Fahrzeug-Industrie. Diese sei nur ein Aspekt und Daimler darin nur eine Facette der Recherche.”

Was hat das mit den Vorwürfen zu tun? Das ist so, als würde man Märchen erzählen dürfen, wenn der Frager nicht sagt, worauf er hinaus will. Etwa so: Journalist: “Wir machen eine Reportage über die Lebensmittelindustrie. Verdünnen Sie Ihren Wein mit Wasser?” Winzer: “Ich, iwo, nee, wirklich nicht.” Journalist filmt den Winzer, wie er seinen Wein verwässert undercover. Winzer: “Das war jetzt unfair. Vorher wurde gesagt, es ging um alle Lebensmittel …”

Wenn man als Journalist Vorwürfe untersucht, die offiziell bestritten werden, recherchiert man – im Rechtsrahmen – halt undercover. Wie sonst? Wozu sind Journalisten in solchen Fällen sonst da? Wer hat eigentlich bei Daimler das Verständnis von Journalismus geprägt? Menschen, die das Abschreiben von offiziellen Pressestatements und deren Einschmuggeln in den redaktionellen Teil als Journalismus ansehen?

Was an der Rhethorik so schlecht ist

Erstens: Es mag sein, dass Daimler innerhalb eines Tages überprüft hat, wie genau der Journalist eingesetzt war. Völlig unmöglich ist aber, dass der Konzern bei 18000 Beschäftigten alleine im Werk Untertürkheim seine ganze Produktion und alle Büros durchleuchtet hat.

Zweitens: Keine rechtliche Argumentation kann gegen Bilder ankommen. Wer einen Film sieht, dessen Eindrücke werden nicht durch komplizierte rechtssichere Erklärungen relativiert. Die Fernseh-Dokumentation zeigt, wie Journalist Rose mit Daimler-Kollegen arbeitet und niemand von seinem eigentlichen Arbeitgeber, der Spedition, in der Nähe ist. Daimler setzt dagegen: “Der Reporter hat keine Weisungen zur Erfüllung seiner Logistikdienstleistungen von unseren Führungskräften oder Mitarbeitern erhalten. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass der Reporter durch gezieltes Ansprechen und Fragen unserer Mitarbeiter Hinweise zu seiner Tätigkeit erhalten hat. Der Reporter wurde damit nicht in unsere Arbeitsorganisation eingegliedert.”

Drittens: Gegenangriffe wirken unsouverän.

Fazit: Die gesamte Reaktion von Daimler gleicht der eines kleinen, beleidigten Kindes. “Erstens war ichs nicht.” “Zweitens war es ganz anders, (etwa so:) ich habe Dirk nicht mit einem Knüppel, sondern einem Stock geschlagen und eigentlich auch nicht geschlagen, sondern nur etwas fester berührt und überhaupt.” “Drittens: (etwa so:) Dirk hat selbst angefangen / mich provoziert / auch Dreck am Stecken.”

Wie es besser geht: Charakter zeigen

Wie hätte Daimler geschickter und souveräner reagieren können? Zum Charakter zeigen gehört:

1.) Man verhält sich redlich. Was da genau bei Daimler mit Werkverträgen läuft, bleibt offen, aber wenn die Vorwürfe allesamt ungerechtfertigt sind, stellt sich schon die Frage: Wie konnte die ARD so einen Film drehen und senden?

2.) Wenn man einen Fehler macht, gibt man ihn zu. Daimler hätte offiziell jederzeit sagen können, “wir prüfen das genau”. Und es dann auch genau prüfen können.

3.) Man handelt verantwortungsvoll. Dazu gehört selbstverständlich, dass man die Verantwortung übernimmt und Fehler korrigiert. Auf Ausflüchte und Gegenangriffe verzichtet man.

Medientechnisch gesprochen und angenommen, die ARD hat ein bißchen Recht:

Wer in einem Skandal die Wahrheit erst zurückweist und dann scheibchenweise zugibt, wird unglaubwürdig und verlängert den Skandal. Das ist unklug. Und es ist höchst erstaunlich, wenn ein Konzern wie Daimler so vorgeht. Ich frage mich, schwer verblüfft: Wer sind die Verantwortlichen? Wer in der Konzernleitung und in der Pressestelle hat dieses Kommunikations-Desaster verursacht? Wer macht eigentlich bei Daimler Rhetorik-Trainings? Gibt es dort keine Querdenker, die auf Fehler hinweisen und gehört werden?

Vorschlag für eine bessere Rhethorik

Die Daimler AG hätte sofort sagen können: “wir prüfen die Vorwürfe gründlich”, “wir suchen das direkte Gespräch mit der ARD über ihre Reportage”. Ein paar glaubwürdige Personen hätten vor laufender Kamera versichern können, dass man nicht glaube, die Vorwürfe träfen zu, aber man interessiere sich dafür und werde das ausführlich prüfen.

Interessant ist: Ein ehrlicher Mensch und ein unehrlicher, geschickter Taktiker würden beide genau so reagieren.

Eine böse Vermutung, die den Lapsus des Weltkonzerns erklären würde: Hier wurde das Geschäftsmodell von Daimler offen gelegt. Das ist der Grund dafür, dass zurückgeschossen statt eingeräumt wird. Der Autobauer will die Vorwürfe gar nicht untersuchen, denn die Werkverträge gehören zur langfristigen Geschäftsstrategie, weil sie Geld sparen und den Aktienkurs nach oben tragen. Ich sage nicht, dass es so ist. Aber dies wäre eine mögliche Erklärung für die rhetorisch unsägliche, gerichtsorientierte Reaktion des Konzerns.

Eine andere Passage der Daimler-Reaktion sei hier auch noch zitiert. Sie führt zu einem anderen, fast noch böseren Verdacht: “Daimler hält die Vorgehensweise der SWR-Redakteure für überaus fragwürdig. Sie entspricht auch in keiner Art und Weise dem fairen und professionellen Umgang zwischen SWR und Daimler, der in der Vergangenheit zwischen beiden Organisationen praktiziert wurde.” Was heißt das? Da muss man einen Moment darüber nachdenken. Und dann kommt man zur Frage: Wer sagt hier wem und warum, was zu tun ist? Richtet sich die Daimler-Botschaft direkt an den SWR und die ARD? Geht es etwa um Werbe-Millionen? Dies wäre dreist.

Wie Sie am besten nach eigenen Fehlern handeln

Für Karriereinteressierte Leser stellt sich die Frage, wie sie eigene Fehler kommunizieren sollten. Hier die Tipps:

1.) Vermeiden Sie das sofortige Zurückweisen der Vorwürfe. Selbst wenn Ihnen nichts daran einleuchtet, denken Sie an den Bibel-Satz “Maria bewegte es in ihrem Herzen”.

2.) Vermeiden Sie Rechtfertigungen und Haarspaltereien.

3.) Geloben Sie, alles in Ruhe und gründlich zu prüfen. Und tun Sie es!

4.) Wenn Sie wissen, dass Sie einen Fehler gemacht haben, räumen Sie ihn sofort und umstandslos ein.

5.) Entwickeln Sie Schutzmaßnahmen, die helfen, den Fehler in Zukunft zu vermeiden. Machen Sie Ihre Absichten öffentlich.

In drei Worten: Zeigen Sie Charakter!

Übrigens: Es könnte sein, dass ich hier demnächst noch ein wenig über die Daimler-Spitze und deren Karrieren spekuliere. Hier!

Hier können Sie etwas darüber lesen, was die Konkurrenz von BMW so macht(e) (Artikel von 2012).

3 Kommentare

  • Typisches Beispiel für misslungene Krisenkommunikation. Erinnert mich an die Sowjetunion nach Tschernobyl oder Japan nach dem Erdbeben.
    Dabei sprach Herr Zetsche auf der re:publica noch von notwendiger Transparenz und davon, dass Kunden sich heute nicht mehr hinters Licht führen lassen.
    Schade! Verpasste Chance.
    Die Tipps hingegen gefallen mir gut!

    Antworten
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  • Da fällt mir spontan die “Vorführung” des Daimler – Nebelradars ein. Medienvertreter wie dieser gekaufte Autotester sind für den Vorzeigekonzern einfach perfekt: Aufnahme im Kasten und Konsumenten vera….t!
    Dass dieser Autoreporter das alles aus Sympathie mitgemacht hat, stelle ich hier absolut nicht in Frage.
    Was will dieser böse SWR Reporter eigentlich? Mit uns hätte man “reden” können, wie mit dem Bildvertreter. Dann würde es uns allen besser gehen – auch dem Herrn Fremdarbeiter.
    Erinnert mich irgendwie an Pressezensur.
    Herzlichst JAF

    Antworten

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