Schöner Scheitern mit der DFB-Elf. Was können wir aus der historischen 6:0-Niederlage gegen Spanien lernen?

Statistiker:innen verweisen auf das Jahr 1931: So lange sei es her, dass eine DfB-Auswahl so komplett unterging. Wie konnte es soweit kommen? Und vor allem: Was können wir aus dieser historischen Niederlage lernen?

Interessante Interviews

Nein, es hat keinen Spaß gemacht, dieses Spiel zu schauen. Ein- ums andere Mal: Rannten sich die deutschen Kicker sich im Angriff fest. Hechelten sie dem Ball hinterher, ohne ihn zu bekommen. Verteidigten sie ungeschickt. Und dann fiel das nächste Tor für Spanien.

Dafür sah ich mir gerne die Interviews nach dem Spiel an. Was würden die geschlagenen Profis und ihr Trainer sagen? Standard ging hier nicht, das war schon mal klar. Was kann man aus dieser Niederlage lernen? Oder, etwas anders gefragt: Wofür kann diese Niederlage sogar gut sein?

Hatte Kahn doch Recht?

Eine völlig falsche Haltung offenbarten bereits die Fragesteller, wenn sie formulierten: „Wie konnte es soweit kommen?“ Jedenfalls, wenn sie laut mitdachten: „Gib mir eine Erklärung! Bitte!!“. EINE Erklärung – darin liegt der Fehler. Sie denken: Es ist entweder diese Erklärung, die zutrifft. Oder jene. Oder eine dritte. Aber immer nur eine. Schon das Zusammenkommen von zwei unabhängigen Komponenten ist für die meisten schwierig, geistig zu handeln. 85 Prozent der Menschen fassen die Welt in Entweder-oder-Kategorien auf. Und auch von den restlichen 15 Prozent neigen viele mehr oder weniger häufig dazu.

Erinnern wir uns an die Auftritte des Fußball-Experten Kahn. Er war ein Fan von „klaren Hierarchien“ in der Mannschaft. Ihm zufolge brauchte es Alpha-Tiere. Wenn eine Niederlage zu erklären war, lag es seiner Ansicht nach immer daran, dass es im DfB-Team an bulligen Ansagern mangelte (wie er selbst früher einer war). Gestern hätte er damit Recht gehabt, insofern Alpha-Tiere nirgends zu entdecken waren in dieser armseligen deutschen Mannschaft. Ja, ihr Vorhandensein hätte etwas geändert. ABER: Nein, es wäre nicht die alleinige oder entscheidende Ursache gewesen, sehr wahrscheinlich nicht. Schon allein deshalb nicht, weil das ganze Löw-Spiel- und Nachwuchsfördersystem anders aufgebaut ist, was wiederum viele gute (und einige weniger gute) Gründe hat.

Einige persönliche Lautsprecher könnten helfen. Aber sie könnten auch ein oft funktionierendes, kooperatives System zerstören. Das Löw-System scheitert vielleicht daran, dass es zwar auf Kooperation setzt, aber dabei die Charaktere nicht fördert. Was immer auch heißt, Ecken und Kanten zu akzeptieren (Max Kruse lässt grüßen). Aber ein anderes Handling in der Öffentlichkeit braucht bzw. sich schwieriger verkaufen lässt – whatever:

Grundfehler Nummer eins ist die Annahme, dass es eine alleinige Ursache gibt. Stattdessen gibt es ein Füllhorn von Beiträgen zum großen Ganzen. Ich würde bei der Analyse damit starten, alles fußballerische, psychologische, personelle, trainingstaktische etc. aufzulisten, was relevant ist. Das könnte man nach günstig / ungünstig sortieren. Danach ginge es um Beziehungen zwischen den einzelnen Faktoren.

Die Klatsche gegen Spanien war von einer Dimension, die uns ratlos davorstehen lässt. Daher eignet sie sich hervorragend, um zu lernen: Diese Welt ist komplexer, als wir sie uns häufig denken. Wollen wir mit dieser komplexen Welt zurechtkommen, müssen unsere Erklärungen komplexer werden.

„Mensch, du kannst scheitern!“

Wenn wir einen Schritt zurücktreten, entdecken wir noch einen weiteren, wunderbaren Lerneffekt: Wer hätte vermutet, dass es diese Niederlage so geben könnte? Die Schlagzeile „Deutscher Kantersieg gegen Spanien“ würde uns nicht ins Grübeln bringen. Umgekehrt? Undenkbar! Komisch, oder?

Wir können also lernen, dass wir unsere geistige Landkarte um diese Option erweitern müssen. Ich glaube, es verändert viel, wenn wir unser komplettes Scheitern als realistische Zukunft akzpeptieren. Wenn wir dies von vornherein ausschließen, übersehen wir eine Menge reale Möglichkeiten. Ähnlich, aber nicht besser: Wir haben Angst vor dem Fiasko und blenden deshalb unbewusst gewisse Teile der Realität aus.

So greift die Haupterkenntnis des fußballerischen Geschehens weit über den Rasensport hinaus: Die DfB-Elf schenkt uns mit ihrer fulminanten, historischen Niederlage ein neues Selbstbild: Mensch, du kannst scheitern! Auch wenn du es dir nicht vorstellen magst und willst oder du dir das nicht traust, auch wenn das noch nie so vorkam in der Geschichte: Du kannst tatsächlich in unvorhergesehenem, gigantischem Ausmaß untergehen. Mit all deinen Träumen, deinen Hoffnungen, deinem Optimismus, mit allem, was du immer wieder fürs Gelingen unternimmst. Es ist vielleicht unwahrscheinlich, aber es lohnt sich, darüber nachzudenken. Überlege dir rechtzeitig, wie es zum fatalen Verlauf kommen könnte. Was dazu beigetragen haben wird, wenn es so gelaufen sein wird. Und vor allem, was du jetzt und hier dagegen tun kannst.

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