DISG: Persönlichkeitstest oder Kaffeesatz-Leserei?

Sicher haben Sie schon einmal von DISG, dem bunten Persönlichkeitsprofil gehört. Ein Verfahren, mit dem der Persönlichkeitstyp festgestellt wird und die Passung zu bestimmten Arbeitsplätzen ermittelt werden soll. Doch was steckt dahinter? Ein tauglicher, moderner Test oder Kaffeesatzleserei?

Flotter Test

Auf der Suche nach einem Anbieter als Alternative für die [dieser Artikel ist zur Zeit offline bis zur juristischen Klärung – aufgrund rechtlicher Anfechtung] stieß ich auf ein seriös anmutendes Unternehmen mit verschiedenen Testverfahren im Portfolio. Nachdem ich mein Kaufinteresse bekundet hatte, durfte ich die Testleistung probeweise selbst in Anspruch nehmen. Flugs bekam ich einen Code zugeschickt, nach meiner Testbearbeitung sollte ein Kurzergebnis per E-Mail eintreffen und nach einer halbstündigen telefonischen Beratung ein ausführlicher Bericht.

Der Test: Vier Adjektive gab es zur Auswahl, eines sollte ich als zutreffend für mich ankreuzen. Eines als gar nicht zutreffend. Der Vorteil: Das Verfahren geht sehr schnell, denn es sind nur 24 Entscheidungen zu treffen. Erste Zweifel kamen mir allerdings schon jetzt. Zum einen schlicht wegen dieser Kürze. Denn im Psychologiestudium lernt man, was bereits der gesunde Menschenverstand nahe legt: Die Länge eines Tests hängt mit dessen Aussagekraft zusammen.

Ein Alltagsbeispiel: Wie findet man heraus, ob jemand gut Auto fährt? Genügt eine Fahrprobe von zehn Minuten? Jeder Mensch weiß, dass das nicht funktionieren kann. Ein solch kurzer Zeitabschnitt sagt kaum etwas über die Güte des Fahrers aus, egal wie kompetent ein Prüfer sein mag, der daneben sitzt. Und – Gedankenspiel – wenn man nun ein Fahrer-Test-Programm entwickelte, das in 10 Minuten viele schwierige Situationen simulierte? Dann schon eher. Und genau das ist es, was Tests versuchen. Aber immer noch sind und bleiben zehn Minuten ein bescheidenes Quantum Zeit.

Dann hatte ich drei weitere Probleme. Zum einen wurden mir häufiger vier Adjektive angeboten, die ich allesamt nicht zutreffend fand. Manchmal war es anders herum: vier Wörter passten ungefähr gleich gut. Dann wiederum gab es Fälle, bei denen zwei Beschreibungen zutrafen, zwei kaum. Aber ich sollte ja jeweils eines wählen. Die dritte Schwierigkeit: Meine Konzentration ließ zu wünschen übrig. Denn die Aufgabe kann, je nach Verfassung, richtig anspruchsvoll sein. Vor allem in den oben genannten Situationen, in denen vier unpassende, vier passende oder zwei Pärchen mit gleicher Passung bereitgestellt wurden. Und schließlich, auch nicht einfach: Drei passende, ein unpassendes. Oder umgekehrt. Was wählen? Immer wieder schien es mir so, als würde mich die vorgegebene Auswahl in eine Ecke drängen wollen.

Kurztest-Ergebnis per E-Mail

Zehn Minuten Anstrengung, schon erhielt ich mein Kurz-Ergebnis. Klarer Fall: Einige der beschreibenden Aussagen über mich passten gut. Andere allerdings nicht. Und zwar überhaupt nicht. Ich wusste zwar teilweise, wie es dazu kam. Zum einen durch die seltsame Auswahl, die ich eben beschrieben habe. Zum anderen dadurch, dass ich zuvor angewiesen worden war, an eine ganz bestimmte Arbeitssituation zu denken. Ich hatte mir ein Projekt bei einem konkreten Auftraggeber mit ganz speziellen Rahmenbedingungen ausgesucht. Dazu passten vielleicht die Ergebnisse. Nur dass sie weniger mich, als die Situation beschrieben. Der Bericht war allerdings so formuliert, dass er mich zu beschreiben vorgab. Und genau darum sollte es ja auch gehen.

Auswertungsgespräch

Eine halbe Stunde nahmen wir uns Zeit, in der meine Gesprächspartnerin und ich einen kleinen Kampf veranstalteten. Sie zitierte Aussagen über mich, die der Test ergeben hatte. Ich distanzierte mich. Oder relativierte. Oder versuchte zu erklären. Bestimmt war es überdies nicht einfach für meine Gesprächspartnerin, dass ich manche ihrer Aussagen mit der Frage begegnete, ob das denn nicht immer zutreffe. (so etwas wie “in schwierigen Situationen unter Zeitdruck geraten Sie in Stress”…)

Ausführlicher Bericht

Dann kam der ausführliche Bericht, der nun die Hauptanwendung des Tests offen legte: Eine Personalabteilung beurteilt ihre Mitarbeiter. Diesen ausführlichen Bericht bekommt der Mitarbeiter erst einmal nicht zu sehen. Und dieser mehrseitige Testbericht zeigte nun schonungslos die ganze, schauderhafte Wahrheit über mich selbst, was für eine pedantische, zurückgezogene Person ich eigentlich bin. Oh nein! Diesen Menschen wollte ich nicht als Mitarbeiter und auch nicht als Chef oder Kollegen. Ich war mir selbst höchst unsympathisch. Und der Hintergrund des Tests machte nun auch endlich klar: Ich bin unter die Räder eines DISG-Profils geraten.

Selbstverständlich habe ich ab und an Kunden, die ein DISG-Profil mitbringen, aber selbst gemacht hatte ich, soweit ich mich erinnere, noch keines.

Unwissenschaftlicher Humbug

Genauer mit den Hintergründen des DISG befasst hatte ich mich bisher auch noch nicht, da das Verfahren gemeinhin nicht als wissenschaftlich gilt. Doch wer sich mit der Geschichte dieses Tests befasst, staunt Bauklötze.

In der grauen Urzeit der Psychologie, im Jahre 1928, gab es einen Psychologen, der drei Beobachtungsquellen zu diesem Persönlichkeitstest-Verfahren zusammen schraubte. Erstens ein Modell aus der Physiologie. Zweitens die Beobachtung von 250 verhaltensauffälligen Kindern durch eine Ärztin. Drittens die Beobachtung von Insassen eines Texanischen Gefängnisses. Er fand vier Persönlichkeits-Typen – was den Zwang erklärt, sich zwischen genau vier vorgegebenen Adjektiven zu entscheiden. Denn ganz simpel ist jedes Adjektiv einem Typ zugeordnet. Schon allein die Tatsache, dass ich mich oft nicht entscheiden konnte, weil alle vier oder keines der Eigenschaftswörter auf mich zutrafen, spricht gegen das Modell.

Dieses Grundmodell wurde seit 1928 ohne wissenschaftliche Überprüfung oder Veränderung weiter betrieben und trat dank erfolgreichem Marketing den Siegeszug durch die Unternehmen an. (Hintergründe: Wikipedia)

Ein unfassbarer Vorgang, der für mich bedeutet

Diese Hintergründe, die ja nicht allgemein bekannt sind, sondern hinter der Fassade eines weit verbreiteten, angesehenen Verfahrens liegen, bedeuten für mich:

  • lassen Sie sich auf kein DISG-Profil ein
  • nehmen Sie die Ergebnisse Ihres DISG-Profils nicht ernst
  • behandeln Sie alle, die mit dem Verfahren arbeiten, mit größter Vorsicht

Da ich meine Testergebnisse aus verschiedenen seriösen Testverfahren kenne, fällt es mir relativ leicht, meinen DISG-Stempel abzuschütteln. Aber ich finde die Vorstellung grausam, dass nichtsahnende Getestete von den Aussagen überrascht werden und sie nicht relativieren können. Wie sollten sie auch? DISG (bzw. englisch DISC, auch unter “Persolog” bekannt) ist ein verbreitetes, häufig angewandtes Verfahren. Wer nichts über die Hintergründe weiß, geht leicht von der Seriosität des Tests aus. Dabei ist es leider nichts als Kaffeesatzleserei.

Teil 1: Derzeit offline aufgrund juristischer Anfechtung
Teil 2: DISG: Persönlichkeitstest oder Kaffeesatz-Leserei?
Teil 3: Karriereberatung und psychologische Testverfahren: So mache ich das

8 Kommentare

  • Hallo, prima, dass Sie das so klar schreiben.

    Julius Kuhl, der Entwickler der PSI Theorie, sagte in unseren Workshops: “Ein Test ist immer ein Ausgangspunkt zum Dialog.” Der Test soll Fragen ermöglichen.

    Hier mein Artikel zu Tests, bzw. weiter unten zum Reiss-Profil. Sehr ähnlich zu Ihrem Beitrag:
    https://schlachte.wordpress.com/2014/01/28/buchbesprechung-was-wirklich-zahlt/

    Berater, Trainer und Coaches sollten gut prüfen, welche “Tests” sie anbieten. Meine Hoffnung ist, dass die Klienten, HR und Personalabteilungen aufgeklärter prüfen und entscheiden, was Sinn für sie ergibt und so eine Marktbereinigung statt finden kann.

    Viele Grüße, Christoph Schlachte
    Organisationsberater & Business Coach

    Antworten
  • Danke für die klaren Worte und das Hineinleuchten in die Historie. Es ist immer wieder die Versuchung, den Menschen einfach – und plausibel erkennen und strukturieren zu können. Dieser Versuchung erliegen sowohl Auftraggeber als auch Coachs (die natürlich auch die Auftraggeber bedienen möchten). Ich stimme Christoph zu: wenn, dann sind solche Tests bestenfalls geeignet als Reflektionsfläche. Hüten sollte man sich davor, Ergebnisse solcher Tests als “Wahrheiten” zu nehmen. Mir graut, wenn DISG-Überzeugte andere als Blauen oder Grünen beschreiben, eine grausige Reduktion, die augenscheinlich sogar als zutreffend wahrgenommen werden kann, immer aber zu einseitig ist. Auch die Reiss-Profile, die ich zumindest als ein Beispiel meinen Teilnehmern vorstelle, beschreiben wenigstens 16 Aspekte, die sehr plausibel erscheinen. Interessanterweise merken es meine Teilnehmer im Selbststest schnell, wo der Haken liegt. Als Reflektionsangebot ist es aber gerade im Führungskräftekontext ganz charmant.
    Für mich in meiner Praxis als Coach gilt aber immer: Jeder ist einzigartig, unverwechselbar, nicht einsortierbar – und dieses komplexe Wesen, das muss ich versuchen zu erfassen, zu verstehen – sich ihm nur hypothesenweise annähern. Wahrheiten gibt es nicht, es gibt nur Konstruktionen und Annäherungen. Gottseidank, das macht es auch immer wieder so spannend und neu.

    Antworten
  • Diesen Erfahrungsbericht kann ich gar nicht bestätigen. Im Gegenteil, ich arbeite seit etwa 20 Jahren mit dem DISG Profil und ergänze ihn noch mit anderen Inventaren und kam immer zu guten und treffenden Ergebnissen, die in der Einzelberatung, Partnerberatung und Karriereberatung sehr hilfreich sind. Es ist verblüffend, wie gut das Testmaterial dafür geeignet ist, in Kürze die grobe Persönlichkeitsstruktur der Testperson aufzuzeigen.
    Es ist eben nur ein Test und zeigt nur ein Profil. Niemals kann damit die gesamte Persönlichkeit erfasst werden, das ist auch nicht sein Anspruch. Wenn man nur will kann man aber jeden Test adabsurdum führen, besonders dann, wenn man sich mit den Ergebnissen nicht identifizieren will.

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    • Guten Tag Herr Schutty,

      zunächst vielen Dank für Ihren Kommentar. Dazu:

      “… und kam immer zu guten und treffenden Ergebnissen” und das seit zwanzig Jahren? Wow, der Test müsste alles schlagen, was es sonst auf der Welt an Tests gibt! Was Sie beschreiben, ist unwahrscheinlich, selbst für den besten Test ever. Bleibt noch die Möglichkeit, dass Sie so sehr an die Ergebnisse glauben, dass Sie andere Eindrücke der Wirklichkeit für wahr nehmen.

      “Es ist eben nur ein Test und zeigt nur ein Profil. Niemals kann damit die gesamte Persönlichkeit erfasst werden, das ist auch nicht sein Anspruch.” Gut, darauf können wir uns einigen.

      Aber dann: “Wenn man nur will kann man aber jeden Test adabsurdum führen, besonders dann, wenn man sich mit den Ergebnissen nicht identifizieren will.” Nein, eben das genau nicht!! Wenn Sie nämlich wissenschaftlich fundierte Tests kritisieren, bleibt immer noch die wissenschaftliche Fundierung. Mit Ihrer Formulierung werfen Sie alle Tests in einen Topf, egal wie sie konstruiert und entwickelt wurden.

      Und noch einmal zu Ihrem Schluss: “wenn man sich mit den Ergebnissen nicht identifizieren will” – diese Formulierung legt für mich die Vermutung nahe, dass etwas an der oben erwähnten Lesart dran sein könnte: Sie glauben schlicht an den DISG und seine Ergebnisse. Deshalb passt er auch schon seit zwanzig Jahren immer. D.h. wenn einer mit den DISG-Ergebnissen nicht einverstanden ist, dann kann nicht die Person recht haben, sondern sie hat im Zweifel immer unrecht und der DISG stimmt.

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  • Ich quäle mich gerade durch den Fragebogen für eine ganztägigen Workshop am Montag… danke für deine Artikel, ich hole mir jetzt einen Würfel 😉

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