Berufswahl und Selbststeuerung

Statistiken empfehlen das Studium der MINT-Fächer (Mathematik, Ingenieur, Naturwissenschaft, Technik). Was tun, wenn Talent und Vorliebe in eine andere Richtung weisen, die laut Statistik allein in die Arbeitslosigkeit führt?

Das wichtigste im Leben ist unsere Fähigkeit, uns selbst zu steuern. Wer immer nur macht, was andere verlangen, sollte eines Tages aufspringen und rufen: “Hey, warum lebt ihr nicht gleich mein Leben?” Der beste Weg zum Erfolg ist krumm. Vor kurzem hat John Kay, renommierter Wirtschaftswissenschaftler in Oxford, sein Alterswerk veröffentlicht: “Obliquity, die Kunst des Umwegs”. Er sagt: Wer das Glück direkt anstrebt, wird es eher nicht erreichen. Unternehmen, die ihre Aktivitäten ausschließlich auf den maximalen Profit ausrichten, werden weniger Gewinn machen als die Konkurrenz. Der indirekte Weg ist besser.

Das heißt für Berufs- und Lebenswege: Irrtümer, Trödelphasen, Niederlagen und Streits sind wichtig, um die eigene Persönlichkeit auszubilden. Nur so behalten wir die Fähigkeit, uns selbst zu steuern – und beispielsweise andere zu führen. Der gerade Weg, das wären Bestnoten, maximale Sprachfertigkeit und wendiges Teamverhalten. Wer seine Energie im Kampf um das Einhalten dieser Normen verbraucht, dem fehlt Raum für anderes. Er kämpft schwitzend darum, alle Vorgaben zu erfüllen und die Fähigkeit zur Selbststeuerung verkümmert.

Angeregt durch ein Interview zum Thema habe ich mich mit einigen meiner persönlichen beruflichen Entscheidungen auseinander gesetzt. Hier das Ergebnis.

Auf dem Weg zum Abitur hatte ich die Möglichkeit, genau zwei Leistungskurse zu wählen. Nur bestimmte Kombinationen waren erlaubt. Für mich war klar: Ich wähle Musik – und irgendwas Erlaubtes dazu. Warum? Weil ich Musik liebte und rasend gerne mehr erfahren wollte. Auf meinem Gymnasium gab es (fünfte bis elfte Klasse) einen Musikzug, aber ich war nicht dabei. Weil mir im Grundschultest einige Punkte fehlten, um zugelassen zu werden. Viele aus dem Musikzug trauten sich nicht, den Musik-LK zu wählen. “Bist du irre, wieso traust du dich?” wurde ich gefragt. Doch solche Warnungen waren mir egal. Ich wusste, was ich wollte. Es ging mir nicht um ein gutes Abi, sondern um Inhalte.

Wer seine Entscheidungen selbst trifft, muss das Risiko tragen und trägt es auch selbstbewusst. In meinem Fall sah das so aus: In Musik konnte ich durch schlechte Voraussetzungen (kein Musik-Zug, kein Melodieinstrument) keine besonders gute Note erreichen. Durch das erzwungene zweite Leistungskurs-Fach versemmelte ich meinen Abischnitt noch weiter. Und: Ich verbrachte eine wundervolle Zeit im Musik-LK. Keine Sekunde meines Lebens habe ich je diese Entscheidung bereut. Danke noch an unseren grandiosen Lehrer Prof. Vogt und meine Mitschüler.

Nach dem Abitur stand für mich erst mal eine Zeit des Lesens und anderer Abenteuer an. Ich bestimmte, was ich tun wollte und schulte meine Fähigkeit zur Selsbtsteuerund weiter. Nach einigen Monaten “gewonnener Zeit” ging es an den Zivildienst. Ich machte einen Tag Schnupperpraktikum in einem Heim mit Schwerst-Mehrfachbehinderten. Ein schwerer Schock: Menschen lallten, weil ihnen riesige Zungen aus dem Mund hingen und saßen splitternackt auf ihren Dusch-Rollstühlen. Sie mussten gewickelt werden und es stank nach ihren Ausscheidungen.

Ich fuhr entsetzt nach Hause und überlegte mir die Sache. Und kam zu folgendem Entschluss: “Dieser maximale Schock, den du erlebt hast, ist das, was dich im Leben am stärksten weiterbringen wird.” Ich sagte zu. Und ich verbrachte 18 Monate mit diesen Schwerstmehrfachbehinderten. Die bereicherndste und erfüllendste Zeit meines Lebens.

Dann, nach einigen Umwegen, entschied ich mich für das Psychologie-Studium. Mein Plan war eine Hochschulkarriere. Im Studium änderte sich dies, weil mir die verbreitete Verhaltenstheorie (inzwischen durch die Gehirnforschung nachhaltig widerlegt) gänzlich gegen den Strich ging. Das Fach Psychologie aber fasziniert mich bis heute. Ich bin mit Leib und Seele Psychologe und gehe an jede Aufgabe letztlich als Psychologe heran. Beispielsweise habe ich im Zornkönig beschrieben, wie der Zorn handelnder Politiker das Weltgeschehen beeinflusste.

Alles richtig? Nein. Beispielsweise ging ich im Studium den BWLern und ihrer Wissenschaft immer aus dem Weg. “Wir” liefen mit Rucksäcken rum, “die” mit Aktentaschen. Wir waren solidarisch und menschlich, die BWLer klauten Bücher aus der Bibliothek. Und die Juristen (selbes Gebäude, bei mir die selben Vorurteile) verstellten sich die Prüfungsliteratur gegenseitig. Nicht meine Welt. Dabei veräumte ich, bestimmte wirtschaftliche Inhalte aufzunehmen (Andere, wie die politische Ökonomie, studierte ich dagegen durchaus).

Fazit und Empfehlung: Suchen Sie gezielt nach neuen Erfahrungen im Leben! Ob diese im Pflegeheim, in Panama oder im Boss-Anzug liegen, entscheiden Sie danach, was Sie bisher gemacht haben.

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