“Ghostwriting-Verdacht: Darf man sein Anschreiben von Profis pimpen lassen?” fragt Jochen Mai. Ja, ich schreibe auf Kundenwunsch Bewerbungsanschreiben. Teilweise oder vollständig. Und ich finde nicht, dass irgendetwas dagegen spricht.
Dies ist ein Beitrag zur Blogparade von Jochen Mai / Karrierebibel (hier gehts zum Startartikel).
Die Urform: Wenig zu retten
In der Regel bringen Kunden ihre Anschreiben mit. Und in der Regel taugen sie nichts. Natürlich übernehme ich von ihren Urversionen so viel wie möglich. Häufig bleiben aber nur einzelne Formulierungen übrig. Woran liegt das? Die meisten meiner Kunden bewerben sich nicht als Journalisten, müssen also nicht schreiben können. Die Schriftform gehört nur sehr am Rande zu den beruflichen Kompetenzen von Ingenieuren, Bankern oder Kaufleuten.
Die Hürde ist hoch
Zum guten Text gehört viel: Wortwahl, Grammatik, Gliederung, Inhalt. Eine gängige Bewerbungsfloskel ist beispielsweise: “Ich suche eine neue Herausforderung”. Was kann das sein? Was meint der Begriff “Herausforderung”? Wenn ich Ihnen fünf Euro in die Hand drücke und Sie bitte, beim Bäcker um die Ecke ein Croissant zu kaufen, ist das keine Herausforderung für Sie. Hätte ich allerdings den Wunsch, dass das Croissant vom besten Bäcker Frankreichs stammt, wäre dies eine Herausforderung. Aufs Anschreiben bezogen: Wenn Sie sich auf eine Stelle bewerben, bei der Sie das Handwerkszeug mitbringen und ihre Aufgaben routiniert erledigen, ist das Wort “Herausforderung” fehl am Platz!
Dieses Beispiel, das sich nur auf ein einziges Wort bezieht, zeigt deutlich: Damit ein Anschreiben von vorne bis hinten gut getextet ist, bedarf es sehr viel speziellen Know-hows.
Ein gutes Anschreiben beschreibt die Person treffend
Die meisten Menschen haben Probleme damit, sich selbst zu beschreiben. Damit ich ihnen helfen kann, analysiere ich ihren Werdegang und lerne meine Kunden kennen. Ich versetze mich in die Perspektive der Personalentscheider im konkreten Bewerbungsfall. Aus ihrer Warte erkundige ich mich gezielt nach bestimmten Fähigkeiten und Kompetenzen. Häufig frage ich meine Kunden beispielsweise, was sie für die Stelle besonders qualifiziert und wieso sie den Job wollen. Die Antwort kann ich oft fast wörtlich ins Anschreiben übernehmen. Nichts davon steht in der Urform. Stattdessen lieferte der Kandidat Bewerbungsfloskeln ab, die nichts mit ihm selbst zu tun haben.
Auf diesem Weg erarbeitet, trifft ein von mir betreutes Anschreiben die Person besser, als ihre ursprünglichen eigenen Formulierungen. Als Psychologe, Buchautor und langjährig erfahrener Karriereberater bringe ich jene Kompetenzen mit, die dies ermöglichen.
Eine Frage der Moral
Ich weiß von Sachbuch-Bestsellerautoren, die sich als solche feiern lassen, ohne je einen Satz selbst geschrieben zu haben. Das finde ich erbärmlich! Sie schmücken sich mit fremden Federn als Autor und das ist zu verurteilen, selbst wenn sie diese Federn für teures Geld erworben haben.
Bei Bewerbungen geht es aber darum, ob einer gut ist in seinem Job als Architekt oder Chemiker, nicht ums Schreibenkönnen. Zu allem im Leben, was man nicht selbst gut kann, darf man sich beraten lassen. Das Ergebnis stimmt jedoch nur, wenn der richtige Berater ausgewählt wurde. Ob dies gelungen ist, zeigen das fertige Anschreiben und der dazugehörige Auftritt des Bewerbers beim Gespräch. Für die Qualität der späteren Arbeitsleistung sind Persönlichkeit und fachliche Kompetenz wichtig. Um sie zu prüfen, gibt es Vorstellungsgespräche und Zeugnisse.
Sein oder Schreibenkönnen? Für den Erfolg im Job ist ersteres entscheidend. Bewerbungs-Profis können und dürfen helfen, um die Hürde “schriftliche Bewerbung” zu nehmen.
Frühere Beiträge zur Blogparade
von Svenja Hofert
von Lilian Kura
und der Urspungsartikel aus der Schweiz
der sich auf die Einwände eines Headhunters hier bezieht.
Dieser kritisiert die Dienstleistung von “einfachbewerben”, die Unterlagen pimpt ohne die Kandidaten zu kennen – ein Vorgehen, das mir fremd ist.
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