Anne wurde harsch unterbrochen. “Ich meine, wir sollten…”- weiter kam sie nicht. Ihr Teamleiter John unterbrach sie und goss einen halbstündigen Monolog über sie aus, der eines zum Ziel hatte: Nur kein Ärger!
Positives Denken und Ärger-abwehren sind zwei sehr verschiedene Dinge
Anne, Ausbildungsleiterin für kaufmännische Kräfte bei einem Frankfurter Mittelständler, kam zu John, weil sich ihre Azubis über einen Ausbilder beschwert hatten. Die Azubis klagten: Das Seminar biete zu viel graue Theorie, dann mache er wieder Witzchen ohne erkennbaren Bezug zum Thema.
Anne trug die Beschwerden John vor, um die Form der Rückmeldung an den Ausbilder zu besprechen. Johns Diktum: “‘Wir’ machen hier gar nichts!” Der Trainer ist zwar extern engagiert worden, aber er gehört jetzt quasi zum Unternehmen. Wir sind eine Firma!” Anne entgegnete: “Die Frage ist nur, ob wir eine Firma sind, die besser werden will?!”
Anne hatte begeistert meine Bücher gelesen – “Der Zornkönig” und “Change! Wut in positive Energie umwandeln.” Seither ist sie überzeugt: Wir sollten den Ärger begrüßen, denn er zeigt uns, wo etwas verbessert werden kann. John dagegen schwärmt fürs “Positive Denken”: Wichtig ist, dass alle gut drauf sind.John meinte, die Azubis würden negative Energie ausstrahlen. Sie sollten nicht alles schlecht machen. Anne verstand die Klagen der Azubis als Engagement und wollte sie ernst nehmen.
Johns Blockade-Monolog verhinderte an diesem Tag jedes Ergebnis. Was blieb: Annes Verbundenheit mit dem Unternehmen nahm spürbar ab. Sie schilderte mir, wie sie während Johns erregten Monologes eine große Gleichgültigkeit überkam. Der selbe Effekt ist bei den Azubis zu befürchten, wenn sie nicht ernst genommen werden. Denn:
Ärger ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit!
Sicher, in den meisten Unternehmen schwingen die Johns das Zepter. Allerdings macht dies eines um so deutlicher: Firmen, die Ärger positiv aufnehmen, haben einen ungeheuren Wettbewerbsvorteil. Die Voraussetzung dazu ist, dass man keine Angst vor Ärger hat. Wer keine Furcht vor Unzufriedenheit gelten lässt, kann locker und leicht ansprechen, was im Argen liegt. Gemeinsam werden konstruktive Lösungen gesucht. Dabei sind nicht (allein) die Kritiker für die Lösungen zuständig!
Ein gutes Beispiel
Annes Geschichte erinnerte mich an eine sehr ähnliche Situation. Vor einigen Jahren leitete ich ein Bidungsprojekt. Nach dem allgemeinen Start konnten die Teilnehmer aus verschiedenen Fachqualifizierungen auswählen. In einer EDV-Qualifizierung wuchs die Unzufriedenheit über den Unterricht. Der Dozent reagierte nicht auf Kritik, so dass ich als Projektleiter angesprochen wurde. Ich berichtete dem Dozenten kurz vom Groll seiner Leute. Ergebnis: Teilnehmer und Dozent setzten sich zusammen. Alle waren vom Ergebnis begeistert. Die Teilnehmer waren fortan mit dem Unterricht äußerst zufrieden und erzielten sehr gute Prüfungsergebnisse. Der Dozent, sonst eher ein zurückhaltender Typ, sprach mich noch mehrmals darauf an, wie positiv jetzt alles laufe.
Voraussetzung dieses kleinen Wunders war: Keine Angst vor Wut und Ärger!
Johns Art, auf gute Laune zu setzen, hätte nur die Missstände zugedeckelt. Die Zornkönig-Variante lautet. Negative Gefühle gehören zu uns. Wenn sie uns durch ein Tal führen, gehen wir eben durch. Beim Aufstieg erfreuen wir uns der gemeinsamen und konstruktiven Arbeit an guten und immer besseren Lösungen. Der richtige Weg heißt: Positiv Handeln statt Positiv Denken!