Eine neue Welt dank Persönlichkeitsentwicklung

Sie sind in der Entwicklungsstufe der „voll ausgebildeten Erwachsenen-Identität“ angekommen. Was sollte noch kommen? Warum sollten Sie sich jetzt noch weiterentwickeln wollen?

Babys strukturieren die Welt

Um mal ganz von vorne anzufangen: Beim Blick ins Gehirn eines Babys, das einzelne Neuronen erfasst, kann einen der Eindruck eines ziemlichen Durcheinanders befallen. Die meisten Neurone liegen noch mehr oder weniger lose da. Dort, wo dies nicht so ist, wirkt „alles mit allem verbunden“. So soll es sein. Denn das bedeutet: Das Baby ist extrem offen für neue Erfahrungen.

Ein paar Monate später sehen solche Bilder schon deutlich anders aus. Dank festerer Strukturen kann der kleine Mensch nun die wichtigsten Dinge sehr viel schneller und zielsicherer erfassen. Unwichtige Verbindungen wurden dafür gekappt. Man kann sagen: Der Säugling hat den Impulsen seiner Umgebung „Bedeutung verliehen“.

Neues lernen – oder sich entwickeln?

Jean Piaget hat zwei Prozesse dieser Aneignung der Welt unterschieden: Assimilation und Akkomodation. Um es an einem Beispiel zu erklären: Ein Baby trifft einen Dackel und lernt, dass dies ein Hund ist. Nun trifft es einen Pudel und lernt, dass auch der Pudel ein Hund ist. Der Pudel wurde in die bereits vorhandene Hunde-Kategorie assimiliert. Bei der Akkomodation lernt das Baby hingegen, dass eine Katze – trotz aller Gemeinsamkeiten zum Hund – eine andere Kategorie von Tier ist.

Als Erwachsene haben wir unzählige Male solche neuen Kategorien gebildet und zahllose Einzelexemplare in die verschiedensten Kategorien einsortiert. Tiere, Gefühle, Personen, abstrakte Ideen wie politische Ansichten. Die Ich-Entwicklungsstufe E6, die „vollausgebildete Erwachsenen-Identität“ ist dabei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass wir unabhängig von früheren Prägungen urteilen. Diese haben wir selbständig auf ihre Tauglichkeit überprüft. Da können Kirche, Staat, Mutter oder Oma sagen, was sie wollen. Wir hören zu, aber wägen selbst ab und bilden uns eine eigene Meinung. Wir gewinnen eine Haltung, gekennzeichnet durch bestimmte Werte und Ziele. Dennoch bleibt auch für Erwachsene die Frage: Assimilieren oder akkommodieren? Horizontale (innerhalb einer Stufe) oder vertikale (Richtung nächster Stufe) Entwicklung? Die Grafik unten zeigt diese beiden Optionen.

Horizontale und vertikale Entwicklung

Eine andere Grafik, die die Ich-Entwicklung gut veranschaulicht, ist die von Wellen, die übereinander liegen (unten). Etwas gewinnt an Bedeutung in unserem Leben, dann nimmt die Bedeutung wieder ab. Dennoch besteht ein Unterschied zum beständig auf- und abwogenden Meer: Es gibt eine Entwicklungsrichtung. Hier in der Grafik: von links nach rechts. Damit verbunden ist keine Assimilation, die auf „mehr desselben“ hinausläuft. Sondern: Diese Entwicklung beschreibt einen qualitativen Unterschied. Wir kennen alles, was links von unserem Entwicklungsstand ist. Wer sich bereits weiter nach rechts bewegt hat, kennt mehr.

Trotzdem muss die weiter rechts vorherrschende Perspektive nicht in allen Fällen besser sein. Manchmal ist es angebracht, sehr solide die Kraft auf einen Punkt zu fokussieren, statt einen weiteren Blickwinkel zu wählen.

Was fasziniert an der Ich-Entwicklung, wenn sie in Richtung der nächsten Stufe weist?

Etwas ändert sich – für immer

Wenn wir Neues lernen und ins Alte integrieren, gleicht dies eher einem ruhigen Verlauf. Wir füllen Neues ins bekannte Gefäß. Wenn wir uns ans Werk machen, ein neues Gefäß zu bilden, ist das Leben aufregender. Wir erleben plötzliche Aha-Effekte. Wenn das Baby einmal erkannt hat, dass die Welt nicht nur voll von Hunden ist, sondern auch von Katzen, hat sich das Gehirn für immer verändert. Es entdeckt nun überall Katzen. Aber auch die Hunde erscheinen in einem gänzlich neuen Licht.

Bei Erwachsenen ist es ähnlich. Wenn – meist junge – Leute einmal damit begonnen haben, sich von der Verschmelzung mit ihrem Freundeskreis (typisch: E4 auf dem Weg zu E5) zu lösen und sich eigene Urteile zuzutrauen, ist die Perspektive eine völlig andere. Und zwar für immer. Es gibt kein zurück! Das Selbst- und Weltbild beginnt sich radikal zu verändern. In immer neuen Vergleichen loten diese Jugendlichen nun aus, wo sie mit dem Freundeskreis übereinstimmen und wo nicht. Die Perspektive hat gewechselt. Früher gab es diese Frage noch nicht einmal. Es war vollkommen selbstverständlich, sich über die eigene Gruppe zu definieren. Nun aber rückt genau dies ins Zentrum: Was macht meine Freundinnen und Freunde aus? Was aber mich selbst?

Reife Erwachsene und ihre Perspektive

Um die komplexe Selbst- und Weltsicht der reifen Erwachsenenpersönlichkeit auch nur annährend zu beschreiben, fehlt hier der Platz. Daher sollen nur ein paar Blicke darauf und auf den Übergang zur ersten postkonventionellen Stufe E7 geworfen werden.

Am Beispiel der Entwicklung von E4 zu E5: Wenn ein Mensch sich von der Verschmelzung mit dem Freundeskreis, von der Identifikation mit einer bestimmten Musik und einer Art der Kleidung sowie von bestimmten Meinungen gelöst hat, die dort die Norm waren, passiert oft Folgendes: Die Selbst-Definition nimmt den Umweg über die Abgrenzung zur eigenen Gruppenzugehörigkeit: Um sich selbst zu definieren, braucht es die Gruppe. Wenn einem einer vorwirft, genauso wie die Gruppe zu sein, kann einen das zuweilen sehr aufregen. Oder auch die eigene Beobachtung der anderen kann einen in Rage bringen: Wie können sie sich (immer noch) derart vollständig mit der Gruppe identifizieren?

Eine reife Erwachsenenpersönlichkeit kann dies nun viel gelassener und flexibler angehen. Das frühere Verwachsensein mit den Freunden auf ist aus dieser späteren Perspektive heraus betrachtet eine Episode von früher. Damals war dies wichtig. Heute ist es einer von vielen Einflüssen, die man miterlebt hat. So kann vieles entspannter betrachtet werden. Damit verbunden ist unter anderem auch, dass komplexere Probleme als früher erfolgreich bewältigt werden können.

Dennoch gibt es auch hier Schranken. Was nun einengt, sind die eigenen, hart erarbeiteten Werte. Sich auf sie zu beziehen, bietet zwar mehr Flexibilität als man sie früher hatte, als man noch halb verwachsen war mit seiner Gruppe. Komplexere Entscheidungen können dank dieser Werte und längerfristigen Ziele schneller und sicherer getroffen werden.

Dennoch stellt diese Struktur auch eine Beschränkung dar, die in manchen Situationen den Weg zu guten Lösungen verstellt.

Die Nase in der neuen Welt

Wenn Sie sich auf den Weg in die postkonventionelle Welt begeben haben, kann es sein, dass Sie es sogar spannend finden, wenn jemand Ihre Werte in Frage stellt. Das ist gerade auch Ihr eigenes Thema: Wo passen meine Werte, wo nicht? So, wie Sie es bei der früheren Ablösung vom Verschmelzen mit den Freundinnen und Freunden spannend fanden herauszufinden, wo Sie sich von ihnen unterscheiden, finden Sie es jetzt vielleicht interessant, dass jemand andere Werte vertritt als Sie. Sie empfinden dieses Gespräch als bereichernd und sind neugierig darauf, wie Ihr Gesprächspartner aufs selbe Phänomen schaut.

Sie haben sozusagen Ihre Nase reingesteckt, in diese grundsätzlich neue Art, sich selbst und die Welt zu betrachten. Ins Postkonventionelle, ins Sowohl-als-auch, in die Relativierung. Und das ändert in gewisser Weise alles. Dazu gehört: Diese grundsätzliche Bereitschaft, Ihre Kategorien, Ihre inneren Strukturen, Ihre Werte, Ihre Ziele zu hinterfragen, ist irreversibel. Sie können – und wollen – nie mehr vollständig in die alte Weltsicht zurück. Da Sie erkannt haben, dass diese grundsätzliche Kritik an sich selbst ihre Berechtigung hat, erscheint Ihnen das vorher nützliche Verschmolzensein mit sich selbst heute naiv. Nun empfinden Sie den einen oder anderen Ihrer Werte zuweilen als kritikwürdig. Ist dieser Wert immer nützlich oder zuweilen ein zum Glaubenssatz geronnenes (Vor-) Urteil? Sie empfinden es als spannend, dieses Selbstgebastelte an Ihrer Sicht der Dinge zu entdecken. Da Sie nun weniger mit ihren Glaubenssätzen verwachsen sind, können Sie auch mehr Energie in die Probleme investieren, die es objektiv zu lösen gilt (siehe die Grafik unten).

Damit hätten Sie noch nicht die nächste Stufe erobert. Denn das dauert ein paar Jahre. Aber bereits in dem Moment, in dem Sie sich auf den Weg dahin aufgemacht haben, offenbart sich Ihnen “etwas von der neuen Welt”. Bereits die Tatsache, dass Sie “Ihre Nase ins Neue gesteckt” haben, verändert den Blick. Schon diese ersten Schritte ins noch reichlich unbekannte Terrain der Postkonventionellen Stufen schenken Ihnen mehr Gelassenheit und mehr Flexibilität im Handeln. Sie können nun einige Probleme besser lösen, vor denen Sie zuvor kapituliert haben. Eine neue, kleine, aufregende Welle ist in Ihr Leben getreten. Sie können sie nutzen, um immer weiter auf ihr zu surfen. Um immer neue Erlebnisse und Aufgaben anders zu betrachten. Wann Sie das angehen und wie Sie den Prozess gestalten, können Sie immer noch entscheiden.

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