Wer nach ganz oben kommen will, dem schaden herkömmliche Karrieretipps! Doch was zählt wirklich? Als ich die weltweit tätigen Topmanagement-Coachs Assig und Echter um ein Interview bat, erwartete ich nicht sicher, dass sie die Zeit dazu fänden. Doch sie reagierten nicht nur sofort, sondern beantworteten auch noch alle Nachfragen zeitnah und ausführlich. Und was sie zu sagen hatten, war äußerst spannend.
Was ist eine „große Karriere“?
Das wird von der Community im eigenen Feld definiert. Die große Karriere ist nicht identisch mit hohem Einkommen, Prominenz oder Status in der Hierarchie. Eine große Karriere bedeutet, dass jemand die originäre, eigene Ambition erfüllend und mit großem Einfluss und Gestaltungsspielraum leben kann.
Das heißt, die große Karriere ist letztlich etwas opportunistisch definiert? Wenn die Community so eine große Rolle spielt?
Opportunistisch würden wir nicht sagen. Aber mit Anerkennung von anderen, der positiven Resonanz, hat sie schon zu tun.
Das heißt, ein zu Lebzeiten verkanntes Genie, das posthum zu Weltruhm kam, hat keine große Karriere gemacht?
Ja, das gibt es. Große Karrieren spielen sich, wenn Sie so wollen, im Diesseits ab.
Die meisten Menschen streben ja ihre Karriere auch im Diesseits an, da haben Sie natürlich Recht. Hat denn jemand, der von ganz oben abstürzt, nach Ihrem Verständnis eine große Karriere hinter sich – oder am Ende gar keine gemacht?
Scheitern gehört oft zu einer großen Karriere dazu. Was nach einem Scheitern unbedingt folgen muss: Daraus lernen! Die Karriere hört nach einem Absturz nicht auf, sondern erst dann, wenn die eigene Community die Unterstützung dauerhaft verweigert.
Sie sagen, für große Karrieren gelten andere Regeln: Welche sind das?
Im Gegensatz zum Erfolgsfaktor „Leistung“ z.B. im mittleren Management ist es im Topmanagement oder bei einer großen Karriere entscheidend, dass 5 Dimensionen immer wieder neu durchlaufen werden und zusammenspielen: 1. Die Ambition führt Regie, 2. Das Können wird ständig vervollkommnet durch Übung, Fehler, Lernen, sowie mit großen Worten benannt und kommuniziert, 3. Die Psyche wird stabilisiert, es wird gelernt, mit inneren Widerständen umzugehen, 4. Es wird – vor allem in der eigenen Community – stets positive Resonanz erzeugt, 5. Die eigene Bühne, d.h., der richtige Platz, die richtige Rolle, wird von einem selbst gestaltet.
Sie schreiben „Scheitern, Kündigung, Versetzung, Kritik, Feedback – alles muss willkommen sein“ – das klingt nicht nach Erfolgsrezept, oder?
Wir beobachten jedenfalls, dass es ohne Scheitern keine große Karriere gibt. Das heißt nicht, dass man es aufs Scheitern anlegen soll. Aber das kommt früher oder später automatisch. Es ist also besser, man fürchtet sich nicht davor, sondern begreift es als Gelegenheit zum Lernen, zur Reflexion und Vervollkommnung.
Ihr zentraler Begriff ist die „Ambition“. Ist das nicht etwas sehr Schwammiges, das jeder in sich finden kann, der das nur will?
Ambition ist die intrinsische Motivation. Es ist der autonome Wille, das eigene Können in die Welt zu bringen, der Menschen führt und lenkt – wenn sie das zulassen und sich nicht von Sicherheitsdenken oder kurzfristigen Zielen davon abbringen lassen. Es ist der Wunsch, das originäre Talent in die Welt zu bringen und dieses zu vervollkommnen.
Wie entwickelt sich die Ambition im Laufe des Lebens? Kann sie sich auch grundsätzlich ändern?
Sie ist immer schon da, aber nicht so deutlich. Wer sich an ihr orientiert, bekommt sie immer klarer zu Gesicht. Das hat auch etwas mit dem Lebensalter zu tun. Mit Mitte zwanzig kann da noch nicht viel sein. Zur Frage der Veränderung der Ambition: Unserer Erfahrung nach ändert sie sich tatsächlich nicht wesentlich. Sie modifiziert sich oder bekommt andere Akzente, aber bleibt im Kern gleich.
Die Ambition wirkt, wie Sie sagen, oft im Verborgenen. Wie bekommt man denn heraus, ob man sie hat oder nicht hat? Und wenn man sie nicht hat, was dann?
Jeder Mensch hat eine Ambition. Sie kann nicht anerzogen, ausgedacht, antrainiert werden, sondern höchstens gestört und geschwächt werden. Menschen fühlen ihre eigene und die Ambition anderer, aber es ist in der Tat schwierig, sie genau und wirkungsvoll zu benennen. Diesem Gefühl, das sich als Drang oder inneres Anliegen äußert, etwas gern zu tun, im Flow zu sein, die Welt an einer Stelle zu verbessern, muss nachgegangen werden. Das ist der Weg, die eigene Ambition zu erkennen.
Unternehmen müssen lernen, dass Ambition ihre wichtigste Quelle für Höchstleistungen ist, und nicht Geld oder Status als Belohnung.
Sie schreiben, dass „die vorgegebenen Anforderungen zu erfüllen“ die falsche Einstellung im Topmanagement ist. Aber wie kommt man ins Topmanagement, wenn man die vorgegebenen Anforderungen und Erwartungen nicht erfüllt?
Sie haben Recht: Der Weg ins Topmanagement führt immer über Leistung und Können. Im mittleren Management geht es darum, den Anforderungen zu entsprechen, sich anzupassen und Leistungsbeweise zu erbringen. Aber die Topmanagerin ist dazu da, selbst Anforderungen zu definieren. Mit Eigenwillen, mit Ambition muss sie selbst Orientierung bieten. Deshalb ist der Wechsel ins Topmanagement so gravierend. Er verändert alles. Der Bruch ist ungeheuer groß.
Eines Ihrer Erfolgsrezepte ist die Empfehlung, sich mit Ecken und Kanten zu zeigen. Weshalb ist das für Sie so wichtig?
Die Ecken und Kanten werden nicht um ihrer selbst willen wichtig. Es ist einfach so, dass sie zur kompletten Persönlichkeit dazu gehören. Und weil eben die Persönlichkeit auf dem Top-Level entscheidend ist, geht es nicht ohne.
Eine Person mit durchweg rundgeschliffenen Kanten kann keine Persönlichkeit sein?
Ja, wenn Sie so wollen.
Man braucht im Topmanagement also vor allem eine gereifte Persönlichkeit. Wie bekommt man die? Muss die Persönlichkeitsbildung nicht schon sehr früh ansetzen? Was halten Sie beispielsweise von einer Reise nach Bali mit 18?
Wenn einer nach Bali reist, um dort „abzuhängen“, ist noch gar nichts passiert. Etwas anderes wäre es, wenn eine mit dem Rucksack dort los zieht und sich ganz bewusst Land und Leute aus nächster Nähe betrachtet, um dieses Land zu verstehen.
Wie ist das mit dem Verhältnis von Leistung und Persönlichkeitsreifung? Macht genau derjenige keine Karriere, dem es um die schnelle Karriere geht, ums (Auswendig-) Lernen und nach oben kommen?
Abgesehen davon, dass die schnelle Karriere so nicht geht, denn alles Wesentliche braucht seine Zeit: Wem es zunächst um gute Noten geht, der muss – genau wie alle anderen – irgendwann eine weitere persönliche Entwicklung durchmachen. Sonst findet er sein Thema, seine Ambition nicht. Aber gute Noten sind ja kein Karrierehindernis.
Wie ist das Ihrer Erfahrung nach: Sind dennoch diejenigen, denen es früher vor allem um die große Karriere ging, genau jene, denen sie später nicht gelingt? Weil sie zu sehr auf äußere Kriterien schauen?
Das können wir nicht bestätigen. Indem sich die Ambition klärt und äußere Kriterien in den Hintergrund treten, wird der Anfangspunkt überwunden, die Persönlichkeit entwickelt sich. Wenn wir das noch genauer ausführen dürfen …
Gerne!
Was wir „Persönlichkeit“ nennen, ist die Ganzheit von Antrieb, Können, Bindung, Ausstrahlung, Authentizität. Sie entsteht, wenn Menschen sich immer wieder und immer mehr ihrer Ambition hingeben, auch gegen Widerstände und nach Fehlern. Bei manchen Menschen wird dieser Prozess nicht zu sehr von außen oder durch innere Widerstände gestört. Andere benötigen dazu eine Begleitung, Therapie oder Coaching. Um eine gereifte Persönlichkeit zu sein, braucht es Fehler, Scheitern und Lernen. Die Persönlichkeitsbildung gehört zum Menschsein dazu. Jede Reflektion, jeder intensive Austausch, jeder neue Lernschritt dient dem Wachstum. Wenn Menschen dies verpassen, weil sie sich kurzfristigem Gewinnstreben oder Sicherheitsbedürfnissen hingeben, dann ist eine nachhaltig große Karriere nicht möglich. Kurzfristig ist alles drin – aber das hält nicht vor, wenn nicht die Persönlichkeit mitwächst.
Liegt ein entscheidender Fehler vieler, die Karriere machen wollen, darin: Sie verzichten auf alles, was die Persönlichkeit bildet, um „schneller voran zu kommen“?
Eine große Karriere erfordert sehr viel Arbeit, Selbstdisziplin, Konzentration, Machtwillen – und den Wunsch, sich zu vervollkommnen und die Welt besser zu machen. Was sie nicht braucht ist Ehrgeiz, den Willen, alles den eigenen Zielen unterzuordnen. Ehrgeiz ist das Gegenteil von Ambition. Ambition will das eigene Mindset ausdehnen, mehr lernen, von anderen lernen, mehr erfahren. Da geht nichts schneller voran.
Was sollte man mit Mitte 30, was mit Mitte 40 beachten, wenn man ganz nach oben will?
Immer und immer und immer sich an der eigenen Ambition orientieren, gleich in welchem Lebensalter. Das ist entscheidend. Und nie sollte man glauben, dass man etwas ganz allein erreicht hat. Es gibt immer Helfer, Unterstützer. Und denen sollte man danken! Und dann: Immer in Kontakt bleiben, positive Resonanz auslösen. Unkompliziert sein. Und letztlich und immer weiter: Sich beeindrucken lassen, lernen.
Frau Assig, Frau Echter, herzlichen Dank für das Interview!
Hier beschreiben die beiden Topmanagement-Coachs ihr Konzept ausführlich im Buch.
Hier habe ich eine Ankündigung zu diesem Interview geschrieben. Der Text dürfte ebenfalls zur Vertiefung des hier Diskutierten dienen.