Warum der globale Kontrollverlust droht

Der australische Klimaforscher Graham M. Turner vermutete, dass wir am Umbau unserer Gesellschaft deshalb scheitern könnten, weil die notwendige Dimensionen schlecht in unsere Köpfe passt. Abhilfe verspricht ein neues Framing.

Eine globale Durchschnittstemperatur ist nicht vorstellbar

Die Äußerung von Turner findet sich in einem Artikel, in der viele Klimaforscher versuchen, uns mit drastischen Worten zu erreichen. Ein eindrücklicher, lesenswerter Text – doch hängen geblieben bin ich an der Frage der Vorstellbarkeit, die mir zentral erscheint.

Bei der COP26 wird derzeit diskutiert, wie die globale Erwärmung auf maximal 1,5 °C begrenzt werden kann. Eine aktuelle UN-Studie stellt fest, dass die globale Durchschnittstemperatur um 2,7 °C steigt, falls alle Staaten ihre Versprechen einhalten. Der Co-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK Ottmar Edenhofer warnt, man müsse von 4 °C ausgehen. Denn erfahrungsgemäß halten die Staaten ihre Versprechen nicht ein.

Das wahrscheinliche Verfehlen der 1,5 °Grenze schockiert mich zutiefst. Denn ich nutze die Skala der globalen Erwärmung, in dem ich den Gradzahlen die zu erwartenden Folgen zuordne. Anders gesagt: Ich rufe mein Wissen ab. Mit Vorstellung hat das wenig zu tun.

Können Sie sich den in Grad-Celsius ausgedrückten Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bildlich vorstellen? Ich nicht. Genausowenig, wie ich in der Lage bin, ein CO2-Molekühl zu visualisieren. Oder eine Tonne Methan: Wie sieht die aus? Wenn mich die Vorhersage der durchschnittlichen Erdtemperatur schockiert, dann, weil ich Wissen dazu abrufe. Das ist schlecht! Denn der Weg vom Wissen zum Handeln ist lang. Und Wissen ist nicht ohne weiteres verfügbar. Schon gar nicht Wissen, das mit deutlichen Gefühlen verbunden ist (Dohm, 2021) und das wir in unser Selbst- und Weltkonzept eingebaut haben, so dass es handlungsrelevant wird.

Framing-Forschung und Klimakrise

Die Framing-Forschung (Wehling, 2016; Schmitt, Schröder, Pfaller, 2018) und die Kognitionspsychologie zeigen zweierlei:

  • Wenn wir ein Wort benutzen, bedeutet dies, dass in unserem Gehirn ein Netzwerk von Nerven und Verbindungen aktiviert wird
  • Alle diese Frames, sind mit bestimmten, sehr fundamentalen Vorstellungen und Dimensionen verbunden (oben / unten, vor / hinter, schwer / leicht etc.)

Der direkteste, einfachste, plausibelste Weg, wie wir von der unvorstellbaren globalen Durchschnittstemperatur zu einer Vorstellung kommen, ist die Analogie zur Temperatur, die wir fühlen, wenn wir nach draußen gehen.

1,5°C Temperaturunterschied ist kaum spürbar. 4 °C bemerken wir, aber sehr moderat. Bei 10 °C mehr oder weniger nehmen wir die Jacke mit oder lassen sie zu Hause. Nichts davon trifft das, was dem Anstieg um die gleiche Grad-Zahl im globalen Mittel entspricht. Nichts!

In erster Linie führt der Anstieg der globalen Mitteltemperatur … ins Chaos! Ein paar Beispiele dazu:

Wie Donald Trump einmal anmerkte: Schaut raus, es schneit, wo ist eure Erderwärmung? Sicher, wir können den scheinbaren Widerspruch, den er anspricht, mit Wissen auflösen – aber nicht mit der Vorstellung.

Dasselbe gilt beispielsweise für den Anstieg des Meeresspiegels. Wie stellen Sie sich die Auswirkungen eines um 20 cm höheren Meeres vor? Ich, ehrlich gesagt, habe ein Lineal vor Augen, das 20 cm lang ist. Mit meinem Lineal in der Hand sehe ich mich an einer Küste stehen: Eine hilflose Krücke!

Um in die richtige Spur zu kommen, kann ich mein Wissen abrufen, dass 20 cm global an vielen konkreten Küsten 1 m bedeuten, weil der Anstieg nicht gleichmäßig über die Erde verteilt ist. Das Problem ist ähnlich, wie bei der globalen Erwärmung: Es passt schlecht in den Kopf.

Gibt es Worte, die uns helfen können?

Fragliche Framings

Globale Erwärmung“ wurde zu Recht kritisiert, weil „Erwärmung“ etwas eher Angenehmes ist. „Erderhitzung“ ist da besser, aber läuft immer noch in die Irre (vgl. Klimafakten). Denn es geht, wie gesagt, eher um entstehendes Wetter-Chaos. „Klimaschutz“ ist irreführend, weil wir dem Klima an sich egal sind – wir wollen letztlich uns selbst schützen.

Heißzeit“ wirkt eindrücklich und direkt vorstellbar – bezieht sich aber auch nur auf die Erwärmung. Als das Wort populär wurde, war es draußen extrem heiß. Genauso wirkte James E. Hansens Vortrag 1988 besonders stark, weil damals brütende Hitze herrschte. Aber dann kommen Herbst und Winter und die Krise ist, dem Wort Heißzeit gemäß, als wenn es sie im Winter nicht gäbe.

Extremwetter“ macht einiges deutlicher. „Extrem“ schließt nicht nur eine Erwärmung ein, sondern auch Starkregen, Stürme etc. Und „Wetter“ ist das, was uns draußen begegnet. Ein hilfreicher Begriff. Welche gibt es noch?

Was wir wollen: Kontrolle. Was droht: Globaler Kontrollverlust

Um die Bedeutung der globalen 1,5 °C mehr zu verstehen, hilft es, sich klarzumachen: Ungefähr 1989 betraten wir den Risikobereich. Ab 1,5 °C geraten wir in den Hochrisikobereich, den wir unbedingt vermeiden sollten!

Was passiert dann? Wie können wir es – idealerweise – auf EINEN Begriff bringen, der das trifft, was uns droht? Der erklärt, wie absolut problematisch es ist, was uns ab 1,5°C zunehmend erwartet? „Kippeffekte“ ist hier ein guter Begriff, den wir zur Erklärung brauchen. Um uns selbst besser ins Bild zu rücken, schlage ich vor, klarzustellen:

Uns droht ein globaler Kontrollverlust. Was würde dieses Framing bringen?

  • Mit “drohen” ist gesagt, dass er nicht sicher kommt, aber es schlau und drängend wäre, präventiv zu handeln
  • Das Problem ist nicht lokal, sondern global. „Global“ ist spätestens seit dem Buch „Global 2000“ mit der Problemkategorie assoziiert, um die es hier geht
  • Wir verlieren etwas, das wir noch haben (das überzeugt psychologisch besonders)
  • Global heißt auch umfassend: Es gibt weltweit keine Retter:innen oder Held:innen, die es richten können (außer uns selbst). Es wird wohl keine wundervolle, neue Technik geben, die alles anders macht

Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf berichtete einmal, sie hätten spaßeshalber ausgerechnet, wie viel LKW-Ladungen Salz täglich in der Arktis ins Meer geschüttet werden müssten, um den Süßwasser-Eintrag des schmelzenden Grönlandeises auszugleichen und so den Golfstrom in Schwung zu halten. Es wären viele tausende LKW voll Salz täglich.

Globaler Kontrollverlust bedeutet, dass

  • alle technischen Lösungen versagen
  • geschmolzenes Eis auch durch negative Emissionen nicht mehr zum Gefrieren gebracht werden kann (IPCC)
  • nicht nur eine Million Geflüchtete in ein stabiles Land kommen wollen, sondern vielleicht zehn Millionen – während das Land selbst vollkommen instabil geworden ist
  • Ihr Haus wegschwimmt (weil ein Flüsschen mit 2 Meter Normalhöhe plötzlich 10 Meter Wasserstand hat und die Menge an Wasser des Rheins bei Bonn durchs Tal stürzt)
  • die Rente nicht sicher ist – ebenso wie jede andere Form der Geldanlage
  • Sie Ihren Ruhestand in zwanzig Jahren nicht unbesorgt oder sicher planen können – schon gar nicht via Häuschen in Südeuropa
  • die Regierung – egal welche – nur noch mit Feuerlöscher-Politik befasst ist und jeden Gestaltungsspielraum verliert
  • im Sommer jederzeit eine unerträgliche Hitzewelle droht – nur, dass Sie nicht wissen, wo und wann genau es Sie trifft
  • die heute noch häufigen Warnungen der Klimawissenschaft abgelöst werden durch ebenso häufige Meldungen realer Katastrophen
  • Waldbrände im Berliner Umland und in den sterbenden, vertrocknenden Wäldern des Schwarzwalds genauso wahrscheinlich werden, wie heute in Südeuropa
  • Sie einige Wochen des Sommers täglich auf die Wetterkarte schauen und inständig hoffen, dass es kühler wird und beten, dass kein Stromausfall Ihre Klimaanlage ausknockt
  • Sie Ihr durch Extremwetter bedrohtes Hab und Gut nicht mehr versichern können, weil keine Versicherung der Welt dies mehr übernimmt

Wir kommen also vom Framing „drohender globaler Kontrollverlust“ extrem schnell zu konkreten Vorstellungen, die treffen, worum es geht. Um Extremwetter jeder Art und chaotische, unsichere Zustände in vielerlei Hinsicht. Dies könnte uns helfen, den aktuell noch drastischen Unterschied zwischen Wissen und Handeln zu überbrücken.

Schmitt, Rudolf; Schröder, Julia; Pfaller, Larissa (2018). Systematische Metaphernanalyse: Eine Einführung. Springer VS, Wiesbaden.

Wehling, Elisabeth (2016). Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Herbert von Halem Verlag, Köln.

Dohm, Lea (2021). Über das Bewusstsein zur Klimakrise. Analogien zur individuellen Berührbarkeit. In: Dohm, L. Peter, F. van Bronswijk, K. (2021) Climate Action – Psychologie der Klimakrise. Psychozozial-Verlag, Gießen

3 Kommentare

  • Das weiß ich schon lange und versuche zu handeln und andere dabei mitzunehmen, z.B. keinen Torf mehr zu kaufen, auf der individuellen Ebene, auf der Ebene der Presse und der Ebene der Politik, aber bisher macht keiner mit. Nicht einmal ein Vertreter des Umweltbundesamtes, den ich bat, die Regierung zum Handeln aufzufordern und so zu verhindern, dass Gartenerde ohne Torf dreimal soviel kostet wie mit Torf, sah das ein. Da gäbe es noch andere Interessen. Wenn sowas Offensichtliches, Effektives und nicht mit großen Einschränkungen verbundenes schon nicht funktioniert, wie soll wirklich Unbequemen dann funktionieren? Die Menschen gucken aus dem Fenster und meinen: alles ok. Viele haben den Bezug zur Natur ganz verloren, weil sie in anderen Welten leben von Netflix und Spotify, Facebook und Instagram. Da kann ich nur noch Depressionen kriegen und hoffen, dass ich das große Chaos nicht mehr erlebe.

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    • Torf ist hier ein interessantes Thema. Ob wohl die Gemeinden Erde mit oder ohne Torf verwenden? Immer eine Dimension größer denken, wenn möglich. So ein zugespitztes Thema hätte schon Chancen, umgesetzt zu werden, vielleicht sogar auch auf Bundesebene. Zusammenschließen mit anderen hilft – es gibt Klimagruppen “für jeden Geschmack”.

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